Ab hier FKK erlaubt

Thomas Palzer. Ab hier FKK erlaubt. 50 schnelle Seitenblicke auf die neunziger Jahre.

Thomas Palzer Ab hier FKK erlaubt. 50 schnelle Seitenblicke auf die neunziger Jahre. München 1996: C. H. Beck
186 Seiten, broschiert
ISBN 978-3-933510-86-0
€ 10,–

Wie um den Erwartungen aller Aufklärungsdenker Hohn zu sprechen, die fortgesetzt die Massenkultur und ihren Drang zum niedrigsten Niveau kritisieren, weil sie nicht sehen, daß es heute mehr um Faszination denn um Bedeutung geht, gleicht die Lage einem beliebigen Tagesablauf im Fernsehprogramm, wo das Wetter nahtlos auf den Witz der Woche, der Kulturweltspiegel auf das Maggi Kochstudio und Klingendes österreich auf Leben und Sterben in Sarajewo folgt – und immer so weiter. Einziges Ordnungsprinzip ist das Datum – und das steht in krassem Widerspruch zu jenem unumstößlichen Wert westlicher Kultur: der Langlebigkeit, die von der Liebe ebenso gefordert wird wie von Grundsatzpapieren, Autobatterien und gewöhnlicher Wandfarbe. Dabei wirkt das Regiment des Datums auf seine eigene Weise aufklärerisch, denn es zeigt, daß durch Wissen allein keine Möglichkeit gegeben ist, um über Wertpositionen zu befinden.

50 schnelle Seitenblicke auf die neunziger Jahre

Eine Bestandsaufnahme der Gegenwart.

So liest man seine 5-Minuten-Essays mit Gewinn … Palzer ist ein Informationsjunkie, ein potentieller Alleswisser, der einen Bogen schlagen kann von Rousseaus Bekenntnissen zu T-Shirts, auf denen‚ was draufsteht (Blumfeld).

Tip Berlin

Wer Ohren für den Zeitgeist hat, der höre Zündfunk auf BR 2. Wer dies versäumt, kann zumindest die Beiträge Der unsichtbare Hosenträger — 5 Minuten Wohlstand für alle des 1956 geborenen philosophisch ausgebildeten Autors Thomas Palzer in überarbeiteter Form nachlesen. In 50 schnellen Seitenblicken auf die neunziger Jahre gibt er eine Kurzeinführung in die vorletzten Dinge, an die wir uns in dieser Endzeitlichkeit zu halten haben. So unübersichtlich das Nebeneinander der Stile und Moden, so rasant deren Verbrauch — höchste Zeit zu begreifen, daß es nicht mehr auf die letzten Dinge ankommt, sondern auf die nächstliegenden: etwa auf die Shampoo-Flasche am Badewannenrand. So schreibt der Autor über Kino und Lotto, Essen auf Rädern, Buß- und Bettag, Lyrik und Claudia Schiffer, Waschsalon und Rauchen in der Kirche. Sein kulturkritischer und aufklärender Blick macht vor nichts halt und hält nirgends inne. Flott zappen wir mit ihm über Felder, die den Herren Benjamin, Kracauer und Adorno wohl einmalig heilig gewesen sein müssen.

Uwe Justus Wenzel in Neue Züricher Zeitung