Theorie ist Transzendenz der Praxis – nicht deren bessere Hälfte.

DIE ZEIT, DIE BLEIBT

Wie aus Paranoia Realität entsteht

Ein Sommerabend in München. Eine unscheinbare Tankstelle ist der Ort, an dem das Unausweichliche passiert. An dem die Frage, die sich Ewart Colver seit seines Autounfalls stellt – wer hat ihn angefahren? Und weshalb? –, endlich eine Antwort findet: im Duell mit der Vergangenheit.

Ewart Colver, Rechtsanwalt und leidenschaftlicher Tangotänzer von fünfzig Jahren, liegt im Münchner Krankenhaus Rechts der Isar, nachdem er von einem Auto angefahren wurde. Colver ist sich sicher, Opfer eines Attentats geworden zu sein. Ein Anruf aus der Vergangenheit scheint seine Vermutung zu bestätigen. Hat die Polizei ihn etwa als Lockvogel missbraucht? Und was hat das Ganze mit dem toten Drogendealer zu tun, der Jahre zuvor auf einem Bananendampfer in Bremerhaven gefunden wurde – zu einem Zeitpunkt, als Colver noch für eine Versicherung tätig war?

Als sein Verbindungsmann aus der Vergangenheit spurlos verschwindet, macht sich Colver selbst auf die Suche nach Täter und Tatmotiv. Dabei nähert er sich immer mehr der Frage, was die wahren schicksalsmächtigen Zusammenhänge in seinem Leben sind.

1. Aufl. 2019, ca. 256 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag
ISBN: 978-3-608-50415-6

€ 20,00

Neuigkeiten aus dem Klett-Cotta Blog

Lesungen:

München, 19. Oktober 2019, 20 / 21 / 22 / 23 Uhr: 10. Hörgang Arabellapark

Berlin, 31. August 2019, 17:30 Uhr: Literarisches Colloquium Terrassenbühne. Moderation: Richard Kämmerlings

München, 08. Mai 2019, 19:30 Uhr: Literatur Moths, München

Leipzig, 21. März 2019, 21:30 Uhr: Café Neubau Tropen Party

Thomas Palzer über “Die Zeit, die bleibt” (aufgenommen mit iPhone 7)


Rezensionen:

Wer “Die Zeit, die bleibt” liest, braucht vor allem eines: Geduld. Thomas Palzer erzählt die Geschichten seiner beiden Protagonisten in parallelen Erzählsträngen, die er erst am Ende des Romans kreuzt. Der Münchner Anwalt Ewart Colver wird bei einem Autounfall schwer verletzt. Er glaubt an einen Mordversuch und sieht die Verbindung zu einem alten Fall. In Berlin quält den russischen IT-Experten Shenja Orlov noch immer die Gewissheit, dass er für den Tod seiner großen Liebe verantwortlich ist. Obwohl die Handlungen an unterschiedlichen Orten spielen, entdeckt der Leser Ähnlichkeiten zwischen den Figuren. Sie eint ihr Hang zur Paranoia und zu Verschwörungstheorien, die schließlich beide Schicksale zusammenführen. Palzer ist ein Roman gelungen, der zwar kein packender Krimi ist, aber dafür ein spannendes Psychogramm bietet. (Tropen Verlag, 20 Euro)

Cathrin Wißmann, Stern 04.04 2019: Die besten Krimis des Frühjahrs 2019

… Die Entwicklung der Figuren bis zum tragischen Höhepunkt ist Palzer großartig gelungen. Leicht kann man nachvollziehen, wie sich zwei grundsätzlich gesunde Menschen immer tiefer hineinsteigern und letztlich aus dem Käfig, den sie sich erschaffen haben, nicht mehr herausfinden.

Für mich ein großartiger Roman in zweierlei Hinsicht: die Konstruktion des Handlungsverlaufs geht ebenso glatt auf wie die psychologische Entwicklung seiner beiden Protagonisten. Gepaart wird das Ganze mit einer ordentlichen Portion Spannung und durchaus auch einigen gesellschaftlich und sozialkritischen Fragen.

15. März 2019, missmesmerized

Wer sich nicht vor Längen im Handlungsablauf scheut und in eine teils surreal anmutende Welt wahnwitziger Abgründe blicken möchte, der darf einen Versuch wagen. Was ist Wahrheit, was ist Wahn und was passiert, wenn beides aufeinandertrifft? Der Leser bleibt am Ende, dem Thema angemessen, irritiert zurück.

https://www.krimi-couch.de/titel/20427-die-zeit-die-bleib

Jörg Kijanski auf Krimi Couch.de, April 2019

Thomas Palzer: Die Zeit, die bleibt (Tropen) – nichts bayerisch Gemütliches, kein Schickimicki – ein München-Noir könnte man sagen.

Monika Dobler, Buchhandlung “Glatteis”, München

Klett-Cotta Blog:

Lesebericht “Die Zeit, die bleibt” (Tropen)

21. November, 2018 Angeheftet

Vergleichende Anatomie. Eine Geschichte der Liebe

Thomas Palzer Roman, Vergleichende Anatomie. Matthes & Seitz Berlin.

“Du bist mir zu alt!” Mit diesen unvermittelten Worten beendet die Lebensgefährtin Thomas Palzers eine langjährige, überwiegend glückliche Beziehung, an die er viele Erinnerungen an gemeinsam verbrachte Nächte, Reisen und Gespräche knüpft. Der Verlassene tritt daraufhin aus dem Bett und nackt vor den Spiegel, wagt einen schonungslosen Blick auf seinen Körper und beginnt über das Verhältnis von Sex und Alter zu reflektieren. Mit Anfang 60 fühlt er sich nicht alt, aber erkennt, dass sich etwas verändert hat, doch auch die Sexualiät? Was bedeutet überhaupt Sex im Alter, wenn das gesellschaftliche Bild von Sexualität mit jungen, schönen Körpern verknüpft ist? In seinem sehr persönlichen und zarten autobiografischen Essay geht Palzer diesen Fragen nach, versuchte eine neue Verortung der Sexualiät und eröffnet auf kluge und nachdenkliche Weise einem tabuisiertes Thema Möglichkeiten des offenen gesellschaftlichen Diskurses.

In Vergleichende Anatomie. Eine Geschichte der Liebe – wobei der Untertitel im doppelten Sinn (des Genitivs) gemeint ist – geht es um den Verlust, um Pornographie, Sex im Alter, Behälterlogik, Innenwelt und Außenwelt, um Intimität und darum, dass der Autor, der über all das schreibt, auch selbst von all dem betroffen ist. Ein Memoir und personal essay.

Besprechung von Sophie Stroux auf dem Literaturportal Bayern

Rezension in Weltexpresso

Nachtwärts

Thomas Palzer Nachtwärts

Sie saßen am Fenster, einander gegenüber, jeder vor dem Schmetterlingstisch, den man aus der Armlehne hervorklappen konnte. Nach einem uneinsichtigen Plan hatten sie verschiedene Gegenstände darauf ausgebreitet, vor allem ausreichend Lektüre und natürlich Lakritzschnecken, die ohne die Bücher keinen Sinn ergaben. Beide waren sie manische Leser. Wie die meisten von uns wurden sie vom Sichtbaren nicht zufriedengestellt.

Der Münchner Autor und Filmemacher Thomas Palzer verarbeitet in seinem neuen Roman “Nachtwärts” seine ganz persönliche Leerfahrt. Das gespenstische Gefühl, in einem leeren Zug zu sitzen, ohne dessen Ziel zu kennen, hat er vor einigen Jahren selbst erlebt. Hoch sensibel für die Gefühle und Ängste Heranwachsender, verbindet Palzer diese Begebenheit mit einer leider alltäglichen Familiengeschichte. Es ist die Erzählung vernachlässigter Kinder, die nach Liebe schreien, indem sie sich entziehen – oder, wie in diesem Fall, selbst entführen. Mit der verbotenen Liebe, die Finn zu ihrem Entführer aufbaut, behandelt der Autor aber noch eine weitere Ebene, die nicht dem naheliegenden Stockholm-Syndrom folgt. Es geht vielmehr um die konfliktreiche Emanzipation der Tochter von ihrem Vater und die Entdeckung der eigenen Sexualität.

Im Juni 2014 auf Platz 2 der SWR Bestenliste

Eine besonders perfide, albtraumhafte Ausgangssituation hat sich auch Thomas Palzer, der in München lebende Schriftsteller und Filmemacher, ausgedacht. In Nachtwärts erzählt er von einer Entführung, die sich die Hauptperson seines neuesten Romans ausgedacht und geplant hat – für sich selbst. Allerdings sollte jeder, der so etwas vorhat, sich seinen Überltäter vorab lieber ganz genau auswählen.

Stefan Weiss am 27. 02. 2014 in derSüddeutschen Zeitung

Thomas Palzer pflegt einen bedachtsamen Erzählstil mit bewundernswerter Detailsorgfalt. Unterwandert wird der Fortgang von vielschichtigen Erinnerungen, kurzen Anekdoten und abenteuerlichen Träumen. Paralysierende Halluzinationen werden gegen die Realität in Stellung gebracht … Manchmal erzählen erdachte Figuren etwas über die Wirklichkeit, das die realen Menschenkinder nicht auszusprechen wagen. Wie die Akteure im Nachtwärts-Drama. Für das Geschwisterpaar wird der Roman zur Initiation, auch der sexuellen. Für die Erwachsenen zu “einer Reise ins Unbekannte, ins Herz der Finsternis, in das, was nicht ausgeleuchtet ist”. So endet der Roman in einer erschütternden Generalbeichte. Palzers Sprachkamera zeigt Gedanken und Gefühle in Großaufnahme. Mitunter sehnt man sich nach einem Buch wie diesem, das anmacht, weil es ungekünstelt und unwiderstehlich ist. Auch weil es noch dazu eine sinnstiftende Weisheit spiegelt: Solange du lebst, wirst du dich nie von dir selber trennen können.

IN München 4/2014

Es gibt noch einen Fahrgast, einen professionellem Schwarzfahrer und Opiumhändler, der sich Prinz nennt. Solche Leerfahrten der Deutschen Bahn gibt es wirklich. Als Thomas Palzer davon hörte, beschloss er eine neue Version seines Lieblingsbuches Kinder der Nacht von Jean Cocteau zu schreiben und sie auf diese fantastische Fahrt zu schicken. „Kinder erleben eine Welt auf ihre Weise, die oft völlig von der Erwachsenenwelt abgeschlossen ist“, so der gutaussehende Münchner Autor, ein gelernter Philosoph und Filmemacher. Laurens, seine Schwester Finn (von Josephine), eine Anspielung auf Huckleberry Finn, und der geheimnisvolle Prinz fassen den Plan, eine Entführung vorzutäuschen und den Reeder zu erpressen. Sie fahren nach Wien und rauchen Opium. „Der Tschandu verändert die Wahrnehmung. Alles erscheint überhell, extrem scharf, gesteigert. Es ist ein merkwürdiger, zwitterhafter und äußerst tyrannischer, der von ihr Besitz ergriffen hatte, ein Zustand, der einerseits der ihre war, andererseits aber das Außen um sie herum betraf, als spalte ein tiefer Riss die Welt.“ Die Geschichte ist in solchen, hier zufälligerweise ausgesuchten, schönen, geraden Sätzen erzählt. Absolut lesenswert.

Heinz Neidel am 2. Juni 2014 in denNürnberger Nachrichten

Nachtwärts fängt mit einem bestechenden Plot an, ein bisschen ist man in einer Tschick-ähnlichen Geschichte drin. Doch was Thomas Palzer aus der Irrfahrt zweier jugendlicher Geschwister macht, die aus Versehen (?) in einem leeren Zug landen, der sie nicht wie beabsichtigt nach Paris, sondern via München nach Wien bringt, geht in eine andere Dimension. Verrat, Initiation, Misstrauen und Unsicherheit prägen den Fortgang der dunklen und unheilvollen Geschichte, angereichert noch durch schräge Gestalten und bizarre locations – ein überraschendes Leseerlebnis. Eine Entdeckung!

Fräulein Magazine

Einfühlsam, nachvollziehbar und offen erzählt Thomas Palzer in Nachtwärts aus der Sicht zweier Jugendlicher, denen es im Leben an nichts fehlt und doch an so vielem. Spannend wie ein Krimi liest man über den undurchsichtigen „Prinzen”, die Gefühle der Geschwister und die Probleme des Reeders. In häufig wechselnden Perspektiven erhält man ein vollständiges Bild der Situation. Aus der Nebenfigur Finn wird schließlich die zentrale Figur, die sich vom Vater löst, indem sie sich einen Ersatz für ihn sucht. Nachtwärts ist eine gleichzeitig spannende und sensible Geschichte über das Erwachsenwerden und die Schwierigkeiten von Jugendlichen, die trotz aller Möglichkeiten, die ihnen offen stehen, dennoch auf sich selbst gestellt sind.

Bücherpunkt Blaubeuren

Leselink

Nachtwärts Thomas Palzer

Literaturportal Bayern
Im Gespräch mit Fridolin Schley: der Schriftsteller Thomas Palzer
Über Realität

Das kommende Buch

Das kommende Buch. Essay. Matthes & Seitz MSeB 2013
Das kommende Buch. Essay. Matthes & Seitz MSeB 2013

Großverleger prophezeien den Untergang der Verlage, die Piraten reklamieren den Untergang der Verlage, Amazon forciert den Untergang der Verlage. Wie sieht die Zukunft des Buchs aus, wenn es groß angelegte epische Serienprojekte wie “The Wire”, “Game of Thrones”, “Sopranos” und “Breaking Bad” gibt, um unseren Hunger nach guten Geschichten zu stillen? Gibt es einen signifikanten Distinktionsgewinn durch eBooks? Lassen sich Klassiker wie Joyce’ “Ulysses”, Manns “Zauberberg” auch digital verstehen? Klar und illusionslos beschreibt Thomas Palzer in diesem grundlegenden Essay das Wesen der Autorschaft und des klassischen Buchs sowie die grundlegenden Veränderungen, denen sie unterworfen sind.

Palzer ist Verfasser anspruchsvoller Essays von hoher ästhetischer Qualität.

Wikipedia 2015

Spam Poetry

Thomas Palzer Spam Poetry

Täglich landet in meinem Junk-Ordner „Spam“ – jene merkwürdige Form von elektronischen Postwurfsendungen, die dem Internetzeitalter zu verdanken ist. Anfangs habe ich die zum Teil grotesken Mails amüsiert zur Kenntnis genommen, dann wurden sie mir lästig. Es ging immer um dasselbe: um billiges Viagra, billige Rasenmäher, um angeblich extrem einträgliche Geldgeschäfte, um Tresore und Markenuhren zum Schleuderpreis oder um Gewinne, die man sich über die Lose fremder Menschen, die dafür bezahlt hatten, erschwindeln konnte. Ich ärgerte mich über den Schwall Bescheuertheit, mit dem ich mich täglich zu beschäftigen hatte, auch wenn ich die Mails nach einiger Zeit überhaupt nicht mehr zur Kenntnis nahm. Ich musste dennoch mit ihnen Zeit verbringen, denn ich musste sie ja zumindest löschen. Das nervte.

Vor einiger Zeit kam ich daher auf die Idee, den umgekehrten Weg einzuschlagen und das Zeug bewusst zu sammeln. Bald hatte sich auf meiner Festplatte eine gigantische Menge Text angehäuft. Bei der oberflächlichen Durchsicht wurde mir klar, dass ich es hier mit einer gegenwärtigen Form der écriture automatique zu tun hatte
– mit der Renaissance einer literarischen Technik, wie sie von deren Erfindern vor gut einhundert Jahren nicht vorherzusehen gewesen war. Automatisches Schreiben, das insbesondere die Surrealisten progagierten, nutzt die freie Assoziation, es geht dabei um das unzensierte Festhalten von Bildern, Sätzen, auch fehlerhaften. Das öffnete mir die Augen. Nun las ich die Texte völlig anders. Ich begriff, dass ich es mit einer Literatur zu tun hatte, wie sie ausschließlich von robotisierten Übersetzungsprogrammen geschaffen werden konnte.

Interview und Mini-Lesung im BR Zündfunk

Rezension der Deutschen Welle
Wie aus digitalem Müll Poesie wird

Schriftsteller und Spam-Poet Thomas Palzer liest Spam
Schriftsteller und Spam-Poet Thomas Palzer liest Spam

Ruin

Thomas Palzer Ruin

Gewohnt sind wir von Thomas Palzer überraschende, kluge und anschauliche Verbindungen vom Abfall des Alltags mit weitreichenden Diagnosen der Gegenwart. Jetzt aber, mit dem Roman Ruin, kommt etwas besonderes hinzu: die Versenkung in eine abgründige Erfahrung, die Konfrontation mit dem Unausweichlichen. Um es auf kürzest mögliche Weise und mit den wichtigsten Wörtern der Welt zu sagen: Es geht um den Tod eines geliebten Menschen.

Hubert Winkels

Interview Lesezeichen 12/2005

Ruin. Roman. Blumenbar 2005

 Armin Kratzert im Interview mit Thomas Palzer für BR Lesezeichen
Armin Kratzert im Interview mit Thomas Palzer für BR Lesezeichen

Thomas Palzer hat mit Ruin einen vielschichtigen Zeitroman geschrieben, eine Liebesgeschichte und einen Gesellschaftsroman. Er verwebt die Biografie des Vaters, des reichen und renommierten Kunsthändlers, mit der noch längst nicht glücklich beendeten politischen Zusammenführung von Ost und West. Er erzählt auf eine erstaunlich einfühlsame und dezente Weise von einer verbotenen Liebe (von deren Unmöglichkeit freilich nur der Leser und Dora etwas wissen, während Viggen bis zum Schluss unwissend bleibt). Und er wendet ein Verfahren an, das schon Michel Houellebecq in seinen Roman erfolgreich erprobt hat (mit dessen analytischer Kraft und Beobachtungsgabe Palzer es aufnehmen kann, ohne dessen Schärfe zu erreichen): Immer wieder finden sich in Ruin längere essayistische Passagen, die eine gesellschaftliche Tendenz, eine historische Entwicklung sozusagen als Behauptung und mit Zugriff auf das Große und Ganze in den Text stellen, um dann im Einzelnen, in den Charakteren ausgeführt und bewiesen zu werden.

Christoph Schröder am 22. 2. 2006 in der
Frankfurter Rundschau

„Die Hauptsachen“, im vergangenen Herbst auf deutsch erschienen, ist nur ein Beispiel aus einer verblüffenden Anzahl von Romanen, autobiographischen Schriften oder Sachbüchern, die sich gegenwärtig auf die Suche nach dem Vater begeben. Sie loten die Vaterschaft in allen Aspekten aus, trauern um den verblaßten Helden, fahnden nach einem schwer greifbaren Phantom: Hanns Josef Ortheils „Die geheimen Stunden der Nacht“ etwa, Jens Petersens Aspekte-gekröntes „Die Haushalterin“, Frank Goosens „Pink Moon”, Thommie Bayers „Singyogel“, Richard von Schirachs „Der Schatten meines Vaters“, Thomas Langs „Am Seil“, Thomas Palzers “Ruin” oder zuletzt Lars Brandts „Andenken“ – sie alle kreisen um Vaterschaft und Kindesbürde, um alte Rechnungen und neue Gerechtigkeit, um innerfamiliäre Kontinuität und den Versuch, aus den von den Eltern vorgezeichneten Bahnen auszubrechen. Und nicht zuletzt um das oft verzweifelte Bemühen, des Vaters habhaft zu werden, das schemenhafte Bild mit Leben anzufüllen.

Tilmann Spreckelsen am 10. 3. 2006 in der
Frankfurter Allgemeinen Zeitung

Mit großer erzählerischer Raffinesse haucht Thomas Palzer dem alten Topos von der Seelenverwandtschaft neues Leben ein. Er weiß, dass in der Liebe ohne den Gleichklang der Seelen nichts geht. Und er scheut sich nicht, dieses altmodische Wort in seinen mit zeitkritischen Passagen brillierenden Roman einzuführen. Gegenwartsdiagnostik und Neubelebung von Denkmodellen, die auf dem Weg der Modernisierung verloren gingen, kommen hier zusammen. Erst das macht diesen Roman, für den der Autor den Tukan-Preis bekommen hat, besonders. Dora ist Viggens Halbschwester. Der Leser erfährt das bald, Viggen wird es bis zum Schluss nicht wissen. Palzer integriert philosophisches Denken so unauffällig in seinen Roman, dass die Lesefreude ungetrübt bleibt, obwohl er den Geist der Romantik atmet und statt “Ruin” wohl eher “Ruine” heißen müsste. Dort weht bisweilen ein ziemlich frischer Wind.

Meike Fessmann am 3. 2. 2006 in der
Süddeutsche Zeitung

Ein Mann vor dem finanziellen Abgrund; ein Mann namens Viggen, Münchener und stark auf die fünfzig zugehend; ein Mann, der zwar die Kraft hat, sich andere mögliche Leben für sich vorzustellen. Nur besteht deren Gemeinsamkeit darin, “daß sie auf einen phantastischen Ruin hinarbeiteten”. Und eine Frau, in Leipzig geboren, in Wroclaw zu Hause: Dora. Sie hasst es, verpflichtet zu sein, Kompromisse zu machen, langfristige Beziehungen einzugehen, und bezeichnet sich als “Ausnahmezustand” – diese beiden komplizierten Personen lässt Thomas Palzer in seinem schön nachhaltigen Roman “Ruin” (Blumenbar) aufeinander treffen. Der Anlass: Der Tod von Viggens Vater, der auch Doras Vater ist. Hier die bundesrepublikanisch geprägte bürgerliche Familie, dort das uneheliche Kind einer Ost-West-Liebschaft in den frühen Sechzigerjahren. Und es steckt noch mehr in “Ruin”: der Tod eines nahen, geliebten Menschen und das damit unweigerlich einsetzende Sinnieren über Sinn und Unsinn des Lebens; eine eigentümliche Liebesgeschichte, deutsch-deutsche Vergangenheit und Gegenwart, osteuropäische Geschichte. Bei aller Stoffdichte ist “Ruin” unaufdringlich erzählt, stellt aber von Beginn an eine starke, intensive Nähe zu den Protagonisten her. Was daran liegt, dass Palzers unablässig fließende Bewusstseinsprosa sich ihrer selbst so sicher ist, wie sie von den Erfordernissen der Gegenwart weiß.

Gerrit Bartels am 26. 11. 2005 in der
taz

Es beginnt im strahlenden Azur des Golfs von Neapel mit einem symbolischen Treppenaufstieg zum berühmten Haus des Schriftstellers Curzio Malaparte (dem Verfasser des Antikriegsromans “Kaputt”) und endet einsam im Tresorraurn einer Schweizer Bank: “Ruin”, die Schicksalssymphonie eines Mannes im biografisch gefährlichen Alter um die fünfzig. Sich “auf eine komplizierte Art glücklich” zu fühlen, bedeutet für Protagonisten eines postmodernen deutschen Gesellschaftsromans ungeheuer viel. Der ergrauende Filmkaufmann Viggen glaubt sich gegen die Zumutungen einer immer banaler werdenden Konsumwelt mit heiterer Gleichgültigkeit wappnen zu können. Doch als gleichzeitig der Tod und eine neue Liebe in sein Leben treten, gerät er in eine Abwärtsspirale, die Thomas Palzers bildermächtige Sprache kräftig beschleunigt.

Katrin Hillgruber am 21. 11. 2005 im kulturSPIEGEL

Camping

Camping, Roman von Thomas Palzer

Camping. Rituale des Diversen. München 2003: belleville
Mit einem Bildwerk von Wolfgang Ellenrieder
246 Seiten, broschiert
16 S. in Farbe
erschienen 2003
ISBN 978-3-933510-85-3
€ 17,00

Welche famosen Abenteuer ich dann, sozusagen auf der anderen Seite der Welt, im Namen von Ren Dhark und Commander McLane, gewiß bewaffnet mit einer Laserpistole, auf fremden, transsolaren Planeten bestehe, wissen allein meine Träume – aber die wahren für gewöhnlich die Diskretion.
Auch die Diskretion ist ein Raum, von dem die Mathematik nichts weiß.

Thomas Palzer

Mit Camping geht Thomas Palzers Bestandsaufnahme der Gegenwart in die dritte Runde. Die kleine Form als Antwort auf die Tatsache, daß das Ganze das Falsche ist. Nach Hosenträger – Nachrichten aus der Welt von Gestern (Juli 1991-August 1994) und Ab hier FKK erlaubt – 50 Schnelle Seitenblicke auf die neunziger Jahre (August 1994 – Oktober 1995) ist Camping der dritte Band, der zwischen Solidarität und Dissens changiert, der alltagskulturelle Phänomene ebenso aufgreift, wie er den Temperamentwechsel feiert, den Zufall und den politischen Einspruch. SHELL und das literarische Quartett, Politik, Kannibalismus und eMail, Kunst am Bau und das Wissen als Macht, die Farbe des Stroms und das Quiz, Gentechnologie und Überwachung, Bücher und Alkohol, Architektur, die Zukunft des Getränkemarkts, die ermüdete Moderne und BBQ – um all das geht es, und um einiges mehr. Camping – Rituale des Diversen ist ein eigensinniges Stück Literatur, ein Journal, das den Zeitraum zwischen November 1995 und Oktober 2001 begleitet – kulturdiagnostisch und kulturkritisch – von dem Anspruch getragen, sich weder von der Macht der anderen dumm machen zu lassen noch von der eigenen Ohnmacht (und darin wiederum Adornos »Minima Moralia« treu und untreu zugleich). Camping ist das Dokument eines Straßenintellektuellen, eine Textsammlung jenseits von Sittenpolizei, der Arroganz der Theorie und der von dieser erzwungenen Zustimmung. Disparate Prosastücke, die sich zu mobiler Schönheit fügen, launisch und leidenschaftlich, prosaisch und provisorisch, poetisch und pointillistisch.

Karl Bruckmaier beschreibt den Autor Thomas Palzer als Alleinunterhalter, wobei er damit jemanden verstanden wissen will, der sich mit sich selbst unterhält. Er zeigt sich in seiner kurzen Besprechung des Bandes mit Essays und Prosatexten ziemlich angetan von den dem Paradoxon verpflichteten Texten, wobei er es besonders zu schätzen weiß, daß der Autor ohne erhobenen Zeigefinder schreibt und es Palzer zudem überhaupt nicht stört, Thesen zu vertreten, von denen er ein paar Seiten später schon wieder das Gegenteil behauptet. Den Text über den Anschlag vom 11. September preist der Rezensent überwältigt als das Tiefste, das über dieses Thema geschrieben worden ist und deshalb verzeiht er Palzer auch den mitunter überhand nehmenden Sophismus seiner Prosatexte.

Süddeutsche Zeitung (revisited von Perlentaucher.de)

Palzer Scannell Wood: Nachmittag eines Fauns. Chansons

Palzer Scannel Wood
NACHMITTAG EINES FAUNS
Chansons
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NACHMITTAG EINES FAUNS

Calle 3:13 / Meßbuch 3:58 / Windjammer Jam 4:05 / Realitätsprinzip II 2:55 / Superkomisch 3:50 / Sie ist Mist 4:20 / Zinnbecher II 2:55 / Luna Park 2:39 / REM 4:40 / Navy Cut 5:30 / Spätes Mädchen (Ich bin schon fast 40) 4:32 / Volume 4:20 / Nachmittag eines Fauns 2:25 / Strohfeuer 2:25 / Schwarzer Atlas 4:05 / Status Quo 3:05 / Unterm Hut 3:05
Totalzeit: 62:02

Texte von Thomas Palzer
Musik von Stefan Wood

Aufgenommen in München, Sommer 1994 // Frühling / Sommer 1995 // Frühjahr 1996.
Gemischt bei Melnik @ Groovnik Studio, München, und Jens Ohly im Ohly Only Studio, Herbst 1995 / Frühjahr 1996

Gastgesang Sabine Gietzelt
Cover Michaela Melián
Titel Stéphane Mallarmé
Grafik Design: Hias Schaschko
Foto: Matthias Beckel

Nachmittag eines Fauns ist aus dem Hörspiel Journal intime, LP hervorgegangen, das der Bayerische Rundfunk am 7. Juni 1996 um 22:05 Uhr auf BR2 ausstrahlte. Produktion: Karl Bruckmaier. Dramaturgie: Christoph Lindenmeyer / Herbert Kapfer

Chansons – das sei „eine mindere Kunst für minderjährige Mädchen“ hat der Erfinder des Drei-Tage-Barts, Serge Gainsbourg, einmal gesagt. Recht hat er. Minderjährige Mädchen gibt es wieder genug, seit den französischen Poeten und Bürgerschreck das Zeitliche gesegnet hat – aber Chansons? Nein, all die Mädchen, die in­zwischen nachgewachsen sind und un­er­­müdlich weiter nach­wachsen, und all die ewig minderjährigen Frauen woll­te ich nicht länger mit sich allein lassen – auch wenn ich es in den Tagen, nachdem Gainsbourg gestor­ben war, als Poet und als Bürger­schreck noch längst nicht so weit ge­bracht hat­te wie dieser, der im übrigen an dem Weg mitgebaut hat, der in Frankreich die Strecke zwischen Michèle Mor­gan und Char­lotte Gainsbourg bemißt. Aber im­mer­hin sah ich mich als den ersten Serge Gains­bourg in unserem Häuserblock. So beschloß ich, meinerseits an dem Weg mitzu­bauen, den Deutschland von Ka­rin Dor zu Kristi­ane Backer zurücklegen würde. Doch was ist ein Chanson­nier ohne Chansons? Jahre vergingen, bis ich mich endlich dazu aufraffte, mir die Texte zu schreiben, die mir zur Erfüllung des Berufs­ziels noch fehlten – und rief Stefan (Wood) an, der seinerseits James (Scannell) anrief – und schon wenige Wochen später waren die Sachen dank der beiden größten­teils zu Lie­dern ge­reift. Ich ge­­be zu – trotzdem ein bißchen spät: Ich bin mittlerweile schon fast 40 und Kri­stiane Backer ist schneller herangewachsen, als daß ich noch ihr Vater werden könnte – was ich sehr bedauere, denn ich hätte mich von ihr gerne dazu erwählen lassen. Das hört man den Liedern zwei­fellos auch an: Jedes für sich ist den min­derjährigen Mädchen ein den El­tern ver­heim­­lich­ter Freund. Und verheimlichte Freunde sind, wie jedes min­derjäh­rige Mädchen weiß und wie jedes ewig ehe­mals min­­derjährige Mädchen sich problemlos erinnert, die besten. Erinnerungen also an Tage, wie es sie so nie gegeben hat. Chansons, die zusammen genommen den Augenblick beschrei­ben, aus dem ich gemacht bin. Schöner läßt es sich ei­gent­lich kaum sagen.

Thomas Palzer, 1996


Pressetext:
Wer kennte nicht seine eigene Plattensammlung? So auch Thomas Palzer. Egal, ob er eine Reise um sein Zimmer oder eine um die Welt unternimmt, ob zu Fuß, mit dem Motorrad, der Eisenbahn oder dem Flugzeug – seine Platten­samm­lung oder Re­ste von ihr begleiten ihn. Natürlich nicht in echt, sondern im Kopf. Und dazu macht er sich seinen Reim drauf. Eine Art Karaoke zur per­sön­lichen Platten­samm­lung – zu jener launischen Version, die entsteht, wenn Teile davon längst in Vergessenheit geraten oder durcheinan­dergebracht wor­den sind, falsch da­tiert oder – mit Zeigefinger und Daumen am Lenkrad – völ­lig falsch instrumen­tiert. Also prak­tisch alle Platten vom Gedächtnis noch­mal neu abgemischt und durchgesamplet sind. Wenn dann dazu epische oder lyri­sche Lieder im Sprech­ge­­sang vorgetragen werden – Lieder, die jedes für sich an irgendein anderes erinnern, man fragt sich bloß, an welches -, dann entsteht eine Wirk­lich­keit, die auf den Namen Chanson getauft ist. „Alles in der Welt ist nur dazu da, um in einen Chanson einzugehen“, hat Thomas Palzer einmal gesagt – aber auch dieser Satz erinnert uns, ehrlich gesagt, an den irgendeines anderen. War es Tony Joe White? Mallarmé? Willy de Ville?

Egal . Thomas Palzer ist ein Mann, der die vorletzte Fassung des Mannes spielt: Er war der erste Serge Gainsbourg in seinem Häuserblock. Und an je­nem fau­ni­schen Nachmittag wieder einmal ganz besonders. Herausgekommen ist dabei etwas für das Werkzeug, mit dem wir an Musik herangehen: für das entzückte oder erschauernde Rückenmark. Und auf diesem thront bekanntlich das Gehirn – in diesem Fall unter dem dreifaltigen Namen Palzer Scannell Wood zum Singer / Songwriter gereift.

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Substanz, 4. April 1996

Die 17 sparsam arrangierten Songgedichte erzählen auch von einem Nord-Süd-Gefälle des deutschen Poparbeitertums, einer Demarkationslinie, die den preußisch-hanseatischen Norden vom eher barocken Süden trennt. Süden ist aber auch Vaudeville, Sumpffieber und Alabama-lama-100. In einem Song wie ,Windjammer Jam’ ist das Murmeln der Fürbitten in das Call & Response-Schema von Gospel und Blues übergegangen, und von da aus darf noch einmal etwas Ritual in das vorausgesetzte Reich der Zeichen eindringen.

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Stefan Wood
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James Scannell / Thomas Palzer

Substanz, 4. April 1996

Ab hier FKK erlaubt

Thomas Palzer. Ab hier FKK erlaubt. 50 schnelle Seitenblicke auf die neunziger Jahre.

Thomas Palzer Ab hier FKK erlaubt. 50 schnelle Seitenblicke auf die neunziger Jahre. München 1996: C. H. Beck
186 Seiten, broschiert
ISBN 978-3-933510-86-0
€ 10,–

Wie um den Erwartungen aller Aufklärungsdenker Hohn zu sprechen, die fortgesetzt die Massenkultur und ihren Drang zum niedrigsten Niveau kritisieren, weil sie nicht sehen, daß es heute mehr um Faszination denn um Bedeutung geht, gleicht die Lage einem beliebigen Tagesablauf im Fernsehprogramm, wo das Wetter nahtlos auf den Witz der Woche, der Kulturweltspiegel auf das Maggi Kochstudio und Klingendes österreich auf Leben und Sterben in Sarajewo folgt – und immer so weiter. Einziges Ordnungsprinzip ist das Datum – und das steht in krassem Widerspruch zu jenem unumstößlichen Wert westlicher Kultur: der Langlebigkeit, die von der Liebe ebenso gefordert wird wie von Grundsatzpapieren, Autobatterien und gewöhnlicher Wandfarbe. Dabei wirkt das Regiment des Datums auf seine eigene Weise aufklärerisch, denn es zeigt, daß durch Wissen allein keine Möglichkeit gegeben ist, um über Wertpositionen zu befinden.

50 schnelle Seitenblicke auf die neunziger Jahre

Eine Bestandsaufnahme der Gegenwart.

So liest man seine 5-Minuten-Essays mit Gewinn … Palzer ist ein Informationsjunkie, ein potentieller Alleswisser, der einen Bogen schlagen kann von Rousseaus Bekenntnissen zu T-Shirts, auf denen‚ was draufsteht (Blumfeld).

Tip Berlin

Wer Ohren für den Zeitgeist hat, der höre Zündfunk auf BR 2. Wer dies versäumt, kann zumindest die Beiträge Der unsichtbare Hosenträger — 5 Minuten Wohlstand für alle des 1956 geborenen philosophisch ausgebildeten Autors Thomas Palzer in überarbeiteter Form nachlesen. In 50 schnellen Seitenblicken auf die neunziger Jahre gibt er eine Kurzeinführung in die vorletzten Dinge, an die wir uns in dieser Endzeitlichkeit zu halten haben. So unübersichtlich das Nebeneinander der Stile und Moden, so rasant deren Verbrauch — höchste Zeit zu begreifen, daß es nicht mehr auf die letzten Dinge ankommt, sondern auf die nächstliegenden: etwa auf die Shampoo-Flasche am Badewannenrand. So schreibt der Autor über Kino und Lotto, Essen auf Rädern, Buß- und Bettag, Lyrik und Claudia Schiffer, Waschsalon und Rauchen in der Kirche. Sein kulturkritischer und aufklärender Blick macht vor nichts halt und hält nirgends inne. Flott zappen wir mit ihm über Felder, die den Herren Benjamin, Kracauer und Adorno wohl einmalig heilig gewesen sein müssen.

Uwe Justus Wenzel in Neue Züricher Zeitung