Sprache ist immer schon ein Ort gewesen, der zu Auseinandersetzungen eingeladen hat – ganz egal, ob es dabei um den Gebrauch von Fremdwörtern ging, um die Rechtschreibreform oder um das Gendern.
Schnupfen oder Rhinitis? Frau, Mann oder Monster?
Schnee von gestern. Inzwischen geht es darum, beim Sprachgebrauch niemand zurückzulassen, folglich um leichte, um gerechte Sprache. Es geht um diskriminierungsfreies Sprechen und darum, all diejenigen, die in der Sprache bislang angeblich unsichtbar gewesen sind, Sichtbarkeit zu verschaffen – zum Beispiel der Bösewichtin oder der Gästin.
Nigger oder Nigga? Mohrenkopf, Zigeunerschnitzel und Menschen, die menstruieren? Kakophonie des Nicht-Binären.
Während in den Ghettos und Banlieues der Rap gedeiht, der die Sprache rough und ungeschönt gebraucht, um gegen Diskriminierung aufzubegehren – gedeiht in den akademischen Zirkeln das gendern – ein feinsinniger und auf Verletzlichkeit geeichter Sprachgebrauch. Ist für die einen das N-Wort Ausdruck tabuisierten Vokabulars, Ausdruck eines verbalen Safe Space – sagen die andern kurz und knallhart: Nigga. Sie betreiben kulturelle Anverwandlung und machen sich das N-Wort zu eigen.
Es geht um Macht. Was gesetzt ist, muss durchgesetzt werden.
Ist Sprache nicht selbst Rhetorik? Hat es eine Zeit, in der verbum und res eins waren, Wort und Sache, je gegeben? Wer glaubt, dass Worte Kräfte des Bösen und Guten in sich tragen und die, die sie verwenden, damit kontaminierten, hat Anteil am Restbestand voraufgeklärten, magischen Denkens. Du musst verstehn, aus Eins mach‘ zehn und Zwei lass gehen.
In einer medial durchgetakteten Wirklichkeit gerät die Bedeutung von Fiktion in den Hintergrund. Das zeigt sich dann, wenn Literatur praktisch ausschließlich inhaltlich aufgefasst wird. Dabei sind das Imaginäre und die Imagination in die Entwicklung des Wirklichen tief verstrickt.
Die Gegenwart ist eine Zeit imaginativer Not. Angebetet wird das Datum, das Faktum, die Information. Bestätigt wird diese Diagnose von dem Furor, mit dem versucht worden ist, das Pseudonym der Bestsellerautorin Elena Ferrante zu lüften – und vollends in Kraft gesetzt wird sie von dem Triumphgeheul, das neulich in den Medien anhob, als der französische Literaturwissenschaftler Claude Schopp eine Dame namhaft machte, die dem Maler Gustave Courbet für das Bild „Der Ursprung der Welt“ Modell gestanden haben soll.
Oft wird Literatur geradezu abgewertet als nur Erfundenes. Literatur ist also, wenn sie Probleme der Gegenwart brav nacherzählt? Welche Stories und Botschaften vermittelt sie – und wie lehrreich sind diese? Das ist die Frage, die heute zählt. Dabei sind das Imaginäre und die Imagination in die Entwicklung des Wirklichen tief verstrickt. Fakt und Fiktion sind dessen zwei Seiten, denn was unter der Vorherrschaft der Naturwissenschaften in Vergessenheit geraten ist: Auch die Wirklichkeit verfügt über eine Innenseite.
Ein Sommerabend in München. Eine unscheinbare Tankstelle ist der Ort, an dem das Unausweichliche passiert. An dem die Frage, die sich Ewart Colver seit seines Autounfalls stellt – wer hat ihn angefahren? Und weshalb? –, endlich eine Antwort findet: im Duell mit der Vergangenheit.
Ewart Colver, Rechtsanwalt und leidenschaftlicher Tangotänzer von fünfzig Jahren, liegt im Münchner Krankenhaus Rechts der Isar, nachdem er von einem Auto angefahren wurde. Colver ist sich sicher, Opfer eines Attentats geworden zu sein. Ein Anruf aus der Vergangenheit scheint seine Vermutung zu bestätigen. Hat die Polizei ihn etwa als Lockvogel missbraucht? Und was hat das Ganze mit dem toten Drogendealer zu tun, der Jahre zuvor auf einem Bananendampfer in Bremerhaven gefunden wurde – zu einem Zeitpunkt, als Colver noch für eine Versicherung tätig war?
Als sein Verbindungsmann aus der Vergangenheit spurlos verschwindet, macht sich Colver selbst auf die Suche nach Täter und Tatmotiv. Dabei nähert er sich immer mehr der Frage, was die wahren schicksalsmächtigen Zusammenhänge in seinem Leben sind.
1. Aufl. 2019, ca. 256 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag ISBN: 978-3-608-50415-6
Thomas Palzer über “Die Zeit, die bleibt” (aufgenommen mit iPhone 7)
Rezensionen:
Wer “Die Zeit, die bleibt” liest, braucht vor allem eines: Geduld. Thomas Palzer erzählt die Geschichten seiner beiden Protagonisten in parallelen Erzählsträngen, die er erst am Ende des Romans kreuzt. Der Münchner Anwalt Ewart Colver wird bei einem Autounfall schwer verletzt. Er glaubt an einen Mordversuch und sieht die Verbindung zu einem alten Fall. In Berlin quält den russischen IT-Experten Shenja Orlov noch immer die Gewissheit, dass er für den Tod seiner großen Liebe verantwortlich ist. Obwohl die Handlungen an unterschiedlichen Orten spielen, entdeckt der Leser Ähnlichkeiten zwischen den Figuren. Sie eint ihr Hang zur Paranoia und zu Verschwörungstheorien, die schließlich beide Schicksale zusammenführen. Palzer ist ein Roman gelungen, der zwar kein packender Krimi ist, aber dafür ein spannendes Psychogramm bietet. (Tropen Verlag, 20 Euro)
Cathrin Wißmann, Stern 04.04 2019: Die besten Krimis des Frühjahrs 2019
… Die Entwicklung der Figuren bis zum tragischen Höhepunkt ist Palzer großartig gelungen. Leicht kann man nachvollziehen, wie sich zwei grundsätzlich gesunde Menschen immer tiefer hineinsteigern und letztlich aus dem Käfig, den sie sich erschaffen haben, nicht mehr herausfinden.
Für mich ein großartiger Roman in zweierlei Hinsicht: die Konstruktion des Handlungsverlaufs geht ebenso glatt auf wie die psychologische Entwicklung seiner beiden Protagonisten. Gepaart wird das Ganze mit einer ordentlichen Portion Spannung und durchaus auch einigen gesellschaftlich und sozialkritischen Fragen.
Wer sich nicht vor Längen im Handlungsablauf scheut und in eine teils surreal anmutende Welt wahnwitziger Abgründe blicken möchte, der darf einen Versuch wagen. Was ist Wahrheit, was ist Wahn und was passiert, wenn beides aufeinandertrifft? Der Leser bleibt am Ende, dem Thema angemessen, irritiert zurück.
Thomas Palzer: Die Zeit, die bleibt (Tropen) – nichts bayerisch Gemütliches, kein Schickimicki – ein München-Noir könnte man sagen.
Monika Dobler, Buchhandlung “Glatteis”, München
Ein neues Büro in Berlin Kreuzberg. Das Versprechen tropischer Literatur. Eine tropische Nacht. Prä|Position war auf der Read Parade 2019 und hat mit Tom Kraushaar, Wolfram Eilenberger, Juliane Noßack, Thomas Palzer, Simon Strauß und Karin Graf in einer Kreuzberger Bushaltestelle eine Frage erkundet: WAS SIND TROPEN? Bild/Ton/Produktion: Holm-Uwe Burgemann, Konstantin Schönfelder Prä|Position https://www.praeposition.com Musik: https://soundcloud.com/afagh-irandoos…
Die UNESCO-Generalkonferenz 2005 erklärte den dritten Donnerstag im November zum Welttag der Philosophie, indem sie daran erinnerte, „dass Philosophie als Disziplin zum kritischen und unabhängigen Denken ermutigt und auf ein besseres Verständnis der Welt hinwirken und Toleranz und Frieden fördern kann. Der Welttag soll der Philosophie zu grösserer Anerkennung verhelfen und ihr und der philosophischen Lehre Auftrieb verleihen“.
Vortrag und Gespräch:
15. 11. 2018
15:30 Uhr
EineWeltHaus
Schwanthalerstr. 80
80336 München
EG in der Werkstatt
Philosophie – das ist immer der Philosoph, denn philosophisches Denken lässt sich beschreiben als Befähigung, den Weltbezug frei zu gestalten.
In den vergangenen Jahrzehnten waren es, um nur die Prominenz zu nennen, Heidegger, Derrida, Deleuze und Guattari, die die Frage nach der Philosophie gestellt und je verschieden beantwortet haben.
Thomas Palzer ist ein deutscher Autor, Journalist, Schriftsteller, Filmemacher und Hörfunksprecher, auch seiner eigenen Texte. Er studierte in München und Wien Philosophie und Germanistik. Mitte der 1980er Jahre begann er seine publizistische Arbeit beim „Zündfunk“ im Hörfunk des Bayerischen Rundfunks.
Aktuell hat Thomas Palzer eine künstlerische Gastprofessur im Literaturinstitut in Leipzig inne.
Wir laden euch herzlich zur Eröffnungsfeier der Ausstellung ‘Inside Out. Einsichten der Möbelkunst’ in das Kunstgewerbemuseum im Kulturforum ein!
Begrüßung: Sabine Thümmler, Direktorin
Einführung: Achim Stiegel, Kurator der Möbelsammlung
Vortrag ‚Die Melancholie der Dinge: Patina‘: Thomas Palzer, Schriftsteller und Philosoph
We would like to invite you to the opening of our exhibition ‘Inside Out. Understanding the Art of Furniture Making’ at the Museum of Decorative Arts Berlin!
Welcome: Sabine Thümmler,
Introduction: Achim Stiegel, curator of the furniture collection
Talk ‘The Melancholia of Things: Patina’: Thomas Palzer, writer and philosopher
Thomas Palzer B235-06*
Essayistik, Literaturkritik
Die Form des Essays
Der Essay cruist. Alles, was ihm auf seinem Weg begegnet, kann aufgelesen werden. Der Essay folgt nicht dem Beispiel der Naturwissenschaften, die meinen, alles müsse eindeutig sein und immer von irgendwoher herleitbar. Ein Essay ist nicht der Logik unterworfen. Was sich erklärt, erklärt sich durch das Verhältnis der Worte zueinander.
Der Essay ist eine Geste, insofern die Geste eine Form ist, in der sich Geist und Materie miteinander verbinden, Gedanken mit Sätzen. Was innen liegt – das Subjektive – muss nach außen übersetzt werden, ins Objektive, ein dialektischer Prozess. Inhalte werden nicht durch die Form, sondern als Form ausgedrückt. Dabei entscheidet der Gebrauch der Wörter über den Gegenstand – und der Gegenstand, den man er- wählt hat, über das, was innen und außen ist.
Reden wir über Sprache. Wir benutzen sie selbstverständlich, missbrauchen sie ständig, finden uns darin nicht zurecht, sind sprachlos oder “ein Schriftsteller ohne Sprache”, wie Senthuraran Varatharajah von sich selbst sagt. Ein Paradox oder eine Sehnsucht? Das Ende meiner Sprache ist das Ende meiner Welt, will uns Wittgenstein weismachen. Darüber wollen wir reden, diskutieren, schreiben und am Ende veröffentlichen, was erarbeitet wurde.
Wir stellen uns fragen und suchen gemeinsam nach Antworten oder wenigstens nach Thesen. Was wäre die Welt ohne Sprache? Was bedeutet sie uns? Brauchen wir 8000 verschiedene Sprachen auf dieser Welt? Was, wenn es nur eine gäbe? Welche? Beginnt der Krieg, wenn das Sprechen aufhört? Können wir eine neue Sprache für die Diplomatie erfinden? Ist Identität ohne Sprache denkbar?
An einem der Tage in der Denkwoche werde ich nach der philosophischen Auseinandersetzung mit Sprache fragen – genauer: nach dem Begriff der Repräsentation, der im Mittelpunkt der Debatte steht. Ist der ontologische Status einer sprachlichen Vereinbarung wie der Hochzeit oder der eines Vertrages gleichbedeutend mit dem eines Apfels oder eines Liegestuhls? Existiert ein Gedanke auf die gleiche Weise wie ein Fels?
Zeichen stehen nicht für sich selbst, sondern für das, auf das sie zeigen: das Wort Baum für den Baum da draußen.
Gemäß der Linguistin Elisabeth Leiss wird kontrovers verhandelt, was Sprache eigentlich repräsentiert. In einem kurzen Abriss beschreibt sie die Evolution der sprachphilosophischen Grundpositionen:
• Sprache repräsentiert die Welt
• Sprache repräsentiert nicht die Welt, sondern unsere Gedanken über die Welt.
• Sprache repräsentiert unsere Gedanken über die Welt schlecht
• Sprache repräsentiert nicht nur schlecht; sie repräsentiert nichts.
Was repräsentiert die Sprache eines Schriftstellers ohne Sprache – vor der Zunahme der Zeichen?
Reden wir also über Sprache! Um uns zu orientieren, begegnen wir dem Schriftsteller Senthuran Vartharajah in Château d’Orion.
Die Mezzosopranistin Joyce DiDonato bei den Händel-Festspielen in Halle
Die gebürtige US-Amerikanerin verbindet ihre einzigartige Stimme mit dem großem Auftritt. Ihr aktuelles Programm “War and Peace – Harmonie durch Musik” ist eine Gratwanderung zwischen traditionellem Gesang und Pop-Show.
Es war ein Lebenstraum von Alessandra Buonanno, der dieses Jahr in Erfüllung ging. 15 Jahre lang hat sie an der Modellierung von Gravitationswellen gearbeitet. Nun haben ihre Modelle den Nachweis erbracht: Einstein hat recht behalten.
Mit dem direkten Nachweis von Gravitationswellen, die bei der Kollision zweier schwarzer Löcher entstanden waren, gelang 2015 ein spektakulärer Nachweis der Gültigkeit der Allgemeinen Relativitätstheorie. Ein wesentlicher Baustein für diesen Erfolg waren die von der Direktorin am Max Planck-Institut für Gravitationsphysik, Alessandra Buonanno, entwickelten theoretischen Modelle, die es erlauben, die Signale der Gravitationswellen zu identifizieren und zu interpretieren.
Bereits als Postdoktorandin entwickelte Buonanno zusammen mit Thibault Damour den sogenannten EOB-(Effective One-Body-)Formalismus, eine extrem effiziente Methode, um die Bewegung binärer Systeme und ihre Emission von Gravitationswellen zu beschreiben. Buonanno entwickelte diesen Ansatz weiter, um auch Verschmelzungen von Neutronensternen erfassen zu können. Diese hoch verdichteten, massereichen Sterne werden vor der Verschmelzung deformiert, was Rückschlüsse auf ihre innere Struktur ermöglicht.
Mathematik ist die Sprache der Physik. Und wie mit jeder Sprache lassen sich über mathematische Operationen neue Wege finden. Alessandra Buonanno hat einen Weg gefunden, um aus dem Rauschen des Alls Gravitationswellen herauszufiltern.
Das Jahr 1968
Am 11. April 1968 schoss der junge Hilfsarbeiter Josef Bachmann vor dem SDS-Büro am West-Berliner Kurfürstendamm dreimal auf Rudi Dutschke. Er traf ihn zweimal in den Kopf, einmal in die linke Schulter. Dutschke überlebte nur knapp. artour nimmt diesen Termin zum Anlass und berichtet über das Jahr 1968. Im Interview: Zeitzeugin Gretchen Dutschke, die eben erst das Buch “1968: Worauf wir stolz sein dürfen” veröffentlicht hat.
Wir fragen: Woher kommen die Feindbilder, woher die Vorbilder und welche Ziele hatten die Bürgerbewegungen der 70er und 80er Jahre, die mit den Themen Frieden, Frauen und Umwelt, daraus hervorgegangen sind?
Staatsbürger, die aktiv und eigenverantwortlich am öffentlichen Leben teilhaben können.