Das kommende Buch

Das kommende Buch. Essay. Matthes & Seitz MSeB 2013
Das kommende Buch. Essay. Matthes & Seitz MSeB 2013

Großverleger prophezeien den Untergang der Verlage, die Piraten reklamieren den Untergang der Verlage, Amazon forciert den Untergang der Verlage. Wie sieht die Zukunft des Buchs aus, wenn es groß angelegte epische Serienprojekte wie “The Wire”, “Game of Thrones”, “Sopranos” und “Breaking Bad” gibt, um unseren Hunger nach guten Geschichten zu stillen? Gibt es einen signifikanten Distinktionsgewinn durch eBooks? Lassen sich Klassiker wie Joyce’ “Ulysses”, Manns “Zauberberg” auch digital verstehen? Klar und illusionslos beschreibt Thomas Palzer in diesem grundlegenden Essay das Wesen der Autorschaft und des klassischen Buchs sowie die grundlegenden Veränderungen, denen sie unterworfen sind.

Palzer ist Verfasser anspruchsvoller Essays von hoher ästhetischer Qualität.

Wikipedia 2015

Spam Poetry

Thomas Palzer Spam Poetry

Täglich landet in meinem Junk-Ordner „Spam“ – jene merkwürdige Form von elektronischen Postwurfsendungen, die dem Internetzeitalter zu verdanken ist. Anfangs habe ich die zum Teil grotesken Mails amüsiert zur Kenntnis genommen, dann wurden sie mir lästig. Es ging immer um dasselbe: um billiges Viagra, billige Rasenmäher, um angeblich extrem einträgliche Geldgeschäfte, um Tresore und Markenuhren zum Schleuderpreis oder um Gewinne, die man sich über die Lose fremder Menschen, die dafür bezahlt hatten, erschwindeln konnte. Ich ärgerte mich über den Schwall Bescheuertheit, mit dem ich mich täglich zu beschäftigen hatte, auch wenn ich die Mails nach einiger Zeit überhaupt nicht mehr zur Kenntnis nahm. Ich musste dennoch mit ihnen Zeit verbringen, denn ich musste sie ja zumindest löschen. Das nervte.

Vor einiger Zeit kam ich daher auf die Idee, den umgekehrten Weg einzuschlagen und das Zeug bewusst zu sammeln. Bald hatte sich auf meiner Festplatte eine gigantische Menge Text angehäuft. Bei der oberflächlichen Durchsicht wurde mir klar, dass ich es hier mit einer gegenwärtigen Form der écriture automatique zu tun hatte
– mit der Renaissance einer literarischen Technik, wie sie von deren Erfindern vor gut einhundert Jahren nicht vorherzusehen gewesen war. Automatisches Schreiben, das insbesondere die Surrealisten progagierten, nutzt die freie Assoziation, es geht dabei um das unzensierte Festhalten von Bildern, Sätzen, auch fehlerhaften. Das öffnete mir die Augen. Nun las ich die Texte völlig anders. Ich begriff, dass ich es mit einer Literatur zu tun hatte, wie sie ausschließlich von robotisierten Übersetzungsprogrammen geschaffen werden konnte.

Interview und Mini-Lesung im BR Zündfunk

Rezension der Deutschen Welle
Wie aus digitalem Müll Poesie wird

Schriftsteller und Spam-Poet Thomas Palzer liest Spam
Schriftsteller und Spam-Poet Thomas Palzer liest Spam

Pony. Geschichte. bommas 1994 und Eisenhut 2011

Pony - Thomas Palzer

„In Wahrheit ist es die innere Landschaft, die die äußere topographiert.“

… Palzers feingliedrige, sehr genau beobachtende und kluge Erzählkunst ist lesenswert. … Sechs Jahre nach Houellebecqs Die Möglichkeit einer Insel ist es des Spermas und der Schwänze genug. Da hilft auch Palzers Relativierung wenig, die versucht, alles in ein programmatischeres Licht zu rücken, das die Neunziger als Symptom fast nebenbei treffend zusammenfaßt: „Nach allem bin ich zu der festen Überzeugung gekommen, daß das Ich geopfert werden muß. Hier liegt der Zweck meines Tuns. Das Ich hat keinen Sinn außer dem, sich in der Ekstase zu verlieren; wir gehören nicht unserem Ich, auch wenn wir mit ihm sterben werden.“

Palzers Geschichte ist das Dokument eines Irrtums, der persönlichen Verfehlung seines Protagonisten, seines Scheiterns, das ihm jedoch eine wunderbar zwingende Kunstdefinition abringt und gleichzeitig der Schlüssel ist zum Verständnis von Pony: „Wenn ich schon dazu verdammt bin, meinem eigenen Zerfall beizuwohnen, so will ich wenigstens davon Zeugnis ablegen.“

Benjamin Jahn Zschocke in Blaue Narzisse

Futur Perfekt

Ich sage: Sackgassen, Satellitenschüsseln, Kreisel. Glasbausteine.
Wird es auch in Zukunft geben.
In der nächsten und übernächsten Generation.
An der Stirn der Doppelgaragen: Basketballkörbe.
Wird es geben.
Kopfsteinpflaster: wird es geben, Ungeschicklichkeit und Namensschilder.
Krawall, Fehlplanung, Monitoring.
Kofferbomber. Langeweile.
It-Bags.
Auch die Peripherie wird Bestand haben. Die Banlieue. Der Dreck.
Wird, wie überall, überall sein.
Wasser wird dagegen nur rationiert ausgegeben.
An öffentlichen Brunnen.
Und in Supermärkten. Aber die wird es nicht mehr geben.
Stattdessen: Riesige Brühwürfel. Auch in den engen Gassen der Altstadt.
Siehst Du sie auch?
Falls Du hundert Jahre alt wirst, wirst Du sie sehen.

Futur Perfekt. Hörspiel von und mit Thomas Palzer / BR 2010 / Länge: 6’13 //

© Annette Hempfling

Die Redaktion Hörspiel und Medienkunst lud 17 zeitgenössische deutschsprachige Autorinnen und Autoren ein, sich dem Alltag der übernächsten Generation zu widmen und ein Bild von Deutschland und der Welt in rund 80 Jahren zu entwerfen.

Deutschland 2089 -: 17 Szenarien aus der Zukunft – Von Georg M. Oswald, Thomas Pletzinger, Thomas Palzer, Françoise Cactus u.v.a.
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Das Hörspiel ist ursprünglich aus einem Text hervorgegangen, der für ein Projekt des Fotografen Thomas Dashuber konzipiert war:

Endstation. Bilder vom Rand der Großstadt
Thomas Dashuber hat die Endstationen der Münchner U-Bahnlinien bereist und eine Szenerie festgehalten, die man so gar nicht mit mit dem blankpolierten München verbindet. Eine Audioslideshow.
Thomas Palzer hat für die Audioslideshow auf sueddeutsche.de einen Essay über die Vorstadt geschrieben, der Dashubers Bilder stimmungsvoll untermalt. Sehen Sie selbst!

Wie wird man Bestseller?

Für den Buchhandel ist nur ein verkauftes Buch ein gutes Buch. Aber gilt dieser Satz auch für Schriftsteller – mithin für die, die Bücher schreiben? Er gilt jedenfalls für die, die mit den Rechten von Büchern handeln.

Uwe Tellkamp ist es keineswegs egal, was der Markt mit seinen Büchern macht. Julia Franck interessieren die Verkaufszahlen nur am Rand – sie schreibt, um ihrer Stimme Ausdruck zu
verleihen. Dass sich ihr Buch Die Mittagsfrau außerdem auch gut verkauft, bringt zwar ökonomische Vorteile – ist aber nicht Grund für das Schreiben. Der gelernte Berliner Bernd Cailloux betrachtet die heutige Kultur des Bestsellers skeptisch – er bezweifelt die Befähigung zum literarischen Schreiben vieler der gerade angesagten Autoren. Und Daniel Kehlmann musste sich erst einmal von dem Druck befreien, der sein phänomenaler Bestseller Die Vermessung der Welt auf ihn ausgeübt hat. Erfolg kann auch irgendwann unheimlich werden, wie Pascal Mercier betont. Lässt sich Erfolg planen?

Wie wird man Bestseller lautet die Frage, der diese Dokumentation nachgeht. Eine Spurensuche in Deutschland und Frankreich.

Mit Daniel Kehlmann, Pascal Mercier, Julia Franck, Uwe Tellkamp, Véronique Olmi und Bernd Cailloux.

 

Wie wird man Bestseller?
52’ – 2008 © SWR / ARTE
Buch + Regie: Thomas Palzer / Kamera: Andreas Bein / Ton: Markus Siegle / Schnitt: Sabine Dietrichs-Jany / Redaktion: Caroline Mutz, Kurt Schneider

Wie man Literatur-Nobelpreisträger macht. Bericht aus der Geheimgesellschaft

Seit seiner erstmaligen Verleihung 1901 haben ihn bis heute 102 Schriftsteller und Dramatiker verliehen bekommen: den Nobelpreis für Literatur, die höchste Auszeichnung und – damit verbunden – die höchste Dotierung, die für ein literarisches Werk vergeben wird. Andere warten noch darauf – manche ein Leben lang.

Viel hat man der Schwedischen Akademie in den gut 100 Jahren ihrer Vergabepraxis vorgeworfen – ästhetischen Konservativis­mus, Anachronismus, Sektierertum, Provinzialismus, Eurozentrismus uvm. Jean-Paul Sartre hat den Preis sogar abgelehnt – freilich soll er Jahre später versucht haben, das Preisgeld von 10 Millionen Kronen nachträglich einzufordern. Seiner etwas unorthodoxen Bitte wurde nicht entsprochen.

Verliehen wird der Literaturnobelpreis alljährlich von der Schwedischen Akademie, einer ehrwürdigen Institution, die in der Altstadt Stockholms residiert und einer Geheimgesellschaft gleicht: Die 18 Mitglieder sind auf Lebenszeit gewählt, legen ein Schweigegelübde ab und tagen nur unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Sie dürfen in der heißen Phase keine E-Mails versenden, Packpapier verhindert einen Blick auf die Buchtitel, mit denen sie sich befassen. Die Protokolle über ihre Entscheidungen unterliegen einer Sperrfrist von 50 Jahren. Nur eine Papstwahl kann mit so viel Geheimniskrämerei konkurrieren.

Wie man Literatur-Nobelpreisträger macht. Bericht aus der Geheimgesellschaft
Dokumentation, Deutschland @ 2006 SWR / arte / megaherz

Buch + Regie: Thomas Palzer / Kamera: Hans Peter Fischer / Ton: Stefan Ravacz / Schnitt: Quang Bobrowski / Redaktion: Martina Zoellner

Ruin. Roman. Blumenbar 2005

Ruin. Roman von Thomas Palzer.

„Die Hauptsachen“, im vergangenen Herbst auf deutsch erschienen, ist nur ein Beispiel aus einer verblüffenden Anzahl von Romanen, autobiographischen Schriften oder Sachbüchern, die sich gegenwärtig auf die Suche nach dem Vater begeben. Sie loten die Vaterschaft in allen Aspekten aus, trauern um den verblaßten Helden, fahnden nach einem schwer greifbaren Phantom: Hanns Josef Ortheils „Die geheimen Stunden der Nacht“ etwa, Jens Petersens Aspekte-gekröntes „Die Haushalterin“, Frank Goosens „Pink Moon”, Thommie Bayers „Singyogel“, Richard von Schirachs „Der Schatten meines Vaters“, Thomas Langs „Am Seil“, Thomas Palzers “Ruin” oder zuletzt Lars Brandts „Andenken“ – sie alle kreisen um Vaterschaft und Kindesbürde, um alte Rechnungen und neue Gerechtigkeit, um innerfamiliäre Kontinuität und den Versuch, aus den von den Eltern vorgezeichneten Bahnen auszubrechen. Und nicht zuletzt um das oft verzweifelte Bemühen, des Vaters habhaft zu werden, das schemenhafte Bild mit Leben anzufüllen.

Tilmann Spreckelsen in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

Ruin. Roman. Blumenbar 2005

Ruin. Roman von Thomas Palzer.

Thomas Palzer hat mit Ruin einen vielschichtigen Zeitroman geschrieben, eine Liebesgeschichte und einen Gesellschaftsroman. Er verwebt die Biografie des Vaters, des reichen und renommierten Kunsthändlers, mit der noch längst nicht glücklich beendeten politischen Zusammenführung von Ost und West. Er erzählt auf eine erstaunlich einfühlsame und dezente Weise von einer verbotenen Liebe (von deren Unmöglichkeit freilich nur der Leser und Dora etwas wissen, während Viggen bis zum Schluss unwissend bleibt). Und er wendet ein Verfahren an, das schon Michel Houellebecq in seinen Roman erfolgreich erprobt hat (mit dessen analytischer Kraft und Beobachtungsgabe Palzer es aufnehmen kann, ohne dessen Schärfe zu erreichen): Immer wieder finden sich in Ruin längere essayistische Passagen, die eine gesellschaftliche Tendenz, eine historische Entwicklung sozusagen als Behauptung und mit Zugriff auf das Große und Ganze in den Text stellen, um dann im Einzelnen, in den Charakteren ausgeführt und bewiesen zu werden.

Christoph Schröder in der Frankfurter Rundschau

Ruin. Roman. Blumenbar 2005

Ruin. Roman von Thomas Palzer.

Mit großer erzählerischer Raffinesse haucht Thomas Palzer dem alten Topos von der Seelenverwandtschaft neues Leben ein. Er weiß, dass in der Liebe ohne den Gleichklang der Seelen nichts geht. Und er scheut sich nicht, dieses altmodische Wort in seinen mit zeitkritischen Passagen brillierenden Roman einzuführen. Gegenwartsdiagnostik und Neubelebung von Denkmodellen, die auf dem Weg der Modernisierung verloren gingen, kommen hier zusammen. Erst das macht diesen Roman, für den der Autor den Tukan-Preis bekommen hat, besonders. Dora ist Viggens Halbschwester. Der Leser erfährt das bald, Viggen wird es bis zum Schluss nicht wissen. Palzer integriert philosophisches Denken so unauffällig in seinen Roman, dass die Lesefreude ungetrübt bleibt, obwohl er den Geist der Romantik atmet und statt “Ruin” wohl eher “Ruine” heißen müsste. Dort weht bisweilen ein ziemlich frischer Wind.

Meike Fessmann in der Süddeutsche Zeitung

Ruin. Roman. Blumenbar 2005

Ruin. Roman von Thomas Palzer.

Ein Mann vor dem finanziellen Abgrund; ein Mann namens Viggen, Münchener und stark auf die fünfzig zugehend; ein Mann, der zwar die Kraft hat, sich andere mögliche Leben für sich vorzustellen. Nur besteht deren Gemeinsamkeit darin, “daß sie auf einen phantastischen Ruin hinarbeiteten”. Und eine Frau, in Leipzig geboren, in Wroclaw zu Hause: Dora. Sie hasst es, verpflichtet zu sein, Kompromisse zu machen, langfristige Beziehungen einzugehen, und bezeichnet sich als “Ausnahmezustand” – diese beiden komplizierten Personen lässt Thomas Palzer in seinem schön nachhaltigen Roman “Ruin” (Blumenbar) aufeinander treffen. Der Anlass: Der Tod von Viggens Vater, der auch Doras Vater ist. Hier die bundesrepublikanisch geprägte bürgerliche Familie, dort das uneheliche Kind einer Ost-West-Liebschaft in den frühen Sechzigerjahren. Und es steckt noch mehr in “Ruin”: der Tod eines nahen, geliebten Menschen und das damit unweigerlich einsetzende Sinnieren über Sinn und Unsinn des Lebens; eine eigentümliche Liebesgeschichte, deutsch-deutsche Vergangenheit und Gegenwart, osteuropäische Geschichte. Bei aller Stoffdichte ist “Ruin” unaufdringlich erzählt, stellt aber von Beginn an eine starke, intensive Nähe zu den Protagonisten her. Was daran liegt, dass Palzers unablässig fließende Bewusstseinsprosa sich ihrer selbst so sicher ist, wie sie von den Erfordernissen der Gegenwart weiß.

Gerrit Bartels in der taz