Der Münchner Autor und Filmemacher Thomas Palzer verarbeitet in seinem neuen Roman “Nachtwärts” seine ganz persönliche Leerfahrt. Das gespenstische Gefühl, in einem leeren Zug zu sitzen, ohne dessen Ziel zu kennen, hat er vor einigen Jahren selbst erlebt. Hoch sensibel für die Gefühle und Ängste Heranwachsender, verbindet Palzer diese Begebenheit mit einer leider alltäglichen Familiengeschichte. Es ist die Erzählung vernachlässigter Kinder, die nach Liebe schreien, indem sie sich entziehen – oder, wie in diesem Fall, selbst entführen. Mit der verbotenen Liebe, die Finn zu ihrem Entführer aufbaut, behandelt der Autor aber noch eine weitere Ebene, die nicht dem naheliegenden Stockholm-Syndrom folgt. Es geht vielmehr um die konfliktreiche Emanzipation der Tochter von ihrem Vater und die Entdeckung der eigenen Sexualität.
Stefan Weiss am 27. 02. 2014 in der
Süddeutschen Zeitung
Nachtwärts. Roman. ars vivendi 2014
Nachtwärts. Roman. ars vivendi 2014
Eine besonders perfide, albtraumhafte Ausgangssituation hat sich auch Thomas Palzer, der in München lebende Schriftsteller und Filmemacher, ausgedacht. In Nachtwärts erzählt er von einer Entführung, die sich die Hauptperson seines neuesten Romans ausgedacht und geplant hat – für sich selbst. Allerdings sollte jeder, der so etwas vorhat, sich seinen Überltäter vorab lieber ganz genau auswählen.
IN München 4/2014
Das kommende Buch

Großverleger prophezeien den Untergang der Verlage, die Piraten reklamieren den Untergang der Verlage, Amazon forciert den Untergang der Verlage. Wie sieht die Zukunft des Buchs aus, wenn es groß angelegte epische Serienprojekte wie “The Wire”, “Game of Thrones”, “Sopranos” und “Breaking Bad” gibt, um unseren Hunger nach guten Geschichten zu stillen? Gibt es einen signifikanten Distinktionsgewinn durch eBooks? Lassen sich Klassiker wie Joyce’ “Ulysses”, Manns “Zauberberg” auch digital verstehen? Klar und illusionslos beschreibt Thomas Palzer in diesem grundlegenden Essay das Wesen der Autorschaft und des klassischen Buchs sowie die grundlegenden Veränderungen, denen sie unterworfen sind.
Palzer ist Verfasser anspruchsvoller Essays von hoher ästhetischer Qualität.
Wikipedia 2015
Spam Poetry

Täglich landet in meinem Junk-Ordner „Spam“ – jene merkwürdige Form von elektronischen Postwurfsendungen, die dem Internetzeitalter zu verdanken ist. Anfangs habe ich die zum Teil grotesken Mails amüsiert zur Kenntnis genommen, dann wurden sie mir lästig. Es ging immer um dasselbe: um billiges Viagra, billige Rasenmäher, um angeblich extrem einträgliche Geldgeschäfte, um Tresore und Markenuhren zum Schleuderpreis oder um Gewinne, die man sich über die Lose fremder Menschen, die dafür bezahlt hatten, erschwindeln konnte. Ich ärgerte mich über den Schwall Bescheuertheit, mit dem ich mich täglich zu beschäftigen hatte, auch wenn ich die Mails nach einiger Zeit überhaupt nicht mehr zur Kenntnis nahm. Ich musste dennoch mit ihnen Zeit verbringen, denn ich musste sie ja zumindest löschen. Das nervte.
Vor einiger Zeit kam ich daher auf die Idee, den umgekehrten Weg einzuschlagen und das Zeug bewusst zu sammeln. Bald hatte sich auf meiner Festplatte eine gigantische Menge Text angehäuft. Bei der oberflächlichen Durchsicht wurde mir klar, dass ich es hier mit einer gegenwärtigen Form der écriture automatique zu tun hatte
– mit der Renaissance einer literarischen Technik, wie sie von deren Erfindern vor gut einhundert Jahren nicht vorherzusehen gewesen war. Automatisches Schreiben, das insbesondere die Surrealisten progagierten, nutzt die freie Assoziation, es geht dabei um das unzensierte Festhalten von Bildern, Sätzen, auch fehlerhaften. Das öffnete mir die Augen. Nun las ich die Texte völlig anders. Ich begriff, dass ich es mit einer Literatur zu tun hatte, wie sie ausschließlich von robotisierten Übersetzungsprogrammen geschaffen werden konnte.
Interview und Mini-Lesung im BR Zündfunk
Rezension der Deutschen Welle
Wie aus digitalem Müll Poesie wird

Pony. Geschichte. bommas 1994 und Eisenhut 2011
„In Wahrheit ist es die innere Landschaft, die die äußere topographiert.“
… Palzers feingliedrige, sehr genau beobachtende und kluge Erzählkunst ist lesenswert. … Sechs Jahre nach Houellebecqs Die Möglichkeit einer Insel ist es des Spermas und der Schwänze genug. Da hilft auch Palzers Relativierung wenig, die versucht, alles in ein programmatischeres Licht zu rücken, das die Neunziger als Symptom fast nebenbei treffend zusammenfaßt: „Nach allem bin ich zu der festen Überzeugung gekommen, daß das Ich geopfert werden muß. Hier liegt der Zweck meines Tuns. Das Ich hat keinen Sinn außer dem, sich in der Ekstase zu verlieren; wir gehören nicht unserem Ich, auch wenn wir mit ihm sterben werden.“
Palzers Geschichte ist das Dokument eines Irrtums, der persönlichen Verfehlung seines Protagonisten, seines Scheiterns, das ihm jedoch eine wunderbar zwingende Kunstdefinition abringt und gleichzeitig der Schlüssel ist zum Verständnis von Pony: „Wenn ich schon dazu verdammt bin, meinem eigenen Zerfall beizuwohnen, so will ich wenigstens davon Zeugnis ablegen.“
Benjamin Jahn Zschocke in Blaue Narzisse
Futur Perfekt
Ich sage: Sackgassen, Satellitenschüsseln, Kreisel. Glasbausteine.
Wird es auch in Zukunft geben.
In der nächsten und übernächsten Generation.
An der Stirn der Doppelgaragen: Basketballkörbe.
Wird es geben.
Kopfsteinpflaster: wird es geben, Ungeschicklichkeit und Namensschilder.
Krawall, Fehlplanung, Monitoring.
Kofferbomber. Langeweile.
It-Bags.
Auch die Peripherie wird Bestand haben. Die Banlieue. Der Dreck.
Wird, wie überall, überall sein.
Wasser wird dagegen nur rationiert ausgegeben.
An öffentlichen Brunnen.
Und in Supermärkten. Aber die wird es nicht mehr geben.
Stattdessen: Riesige Brühwürfel. Auch in den engen Gassen der Altstadt.
Siehst Du sie auch?
Falls Du hundert Jahre alt wirst, wirst Du sie sehen.
Futur Perfekt. Hörspiel von und mit Thomas Palzer / BR 2010 / Länge: 6’13 //
© Annette Hempfling
Die Redaktion Hörspiel und Medienkunst lud 17 zeitgenössische deutschsprachige Autorinnen und Autoren ein, sich dem Alltag der übernächsten Generation zu widmen und ein Bild von Deutschland und der Welt in rund 80 Jahren zu entwerfen.
Deutschland 2089 -: 17 Szenarien aus der Zukunft – Von Georg M. Oswald, Thomas Pletzinger, Thomas Palzer, Françoise Cactus u.v.a.
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Das Hörspiel ist ursprünglich aus einem Text hervorgegangen, der für ein Projekt des Fotografen Thomas Dashuber konzipiert war:
Endstation. Bilder vom Rand der Großstadt
Thomas Dashuber hat die Endstationen der Münchner U-Bahnlinien bereist und eine Szenerie festgehalten, die man so gar nicht mit mit dem blankpolierten München verbindet. Eine Audioslideshow.
Thomas Palzer hat für die Audioslideshow auf sueddeutsche.de einen Essay über die Vorstadt geschrieben, der Dashubers Bilder stimmungsvoll untermalt. Sehen Sie selbst!
FUTUR PERFEKT
© Thomas Palzer / BR 2010 / Länge: 6’13 //
Die Redaktion Hörspiel und Medienkunst lud 17 zeitgenössische deutschsprachige Autorinnen und Autoren ein, sich dem Alltag der übernächsten Generation zu widmen und ein Bild von Deutschland und der Welt in rund 80 Jahren zu entwerfen.
ARCANA EINS:
ZUKUNFT WIRD GEWESEN SEIN
– Ein Spiel: Mach die Augen zu und sag was. Sag, was Du
siehst. Sag? Sag irgendwas. Augen zu und sag was.
– Ich schließe die Augen. Ich sehe nichts. Es ist schwarz.
Nacht. Gestalten. Ich sehe Lichter. Eine Universität. Ich
laufe durch menschenleere Flure. Ich sehe zwei Studentinnen
in einem noch leeren Vorlesungssaal Geheimnisse austauschen.
Sie reden über die Zukunft. Was aus ihnen werden soll. Wie
sie sich ihr Leben vorstellen. Wie es werden wird. Falls es
wäre.
ARCANA ZWEI:
GEGENWART WIRD IN DER ZUKUNFT ZUM TRAGEN GEBRACHT WORDEN
SEIN
Einer sagt: Die Flüsse werden über die Ufer treten und
Inseln verschwinden. Ein anderer: Europa wird weiter Rich-
tung Osten schmelzen. Mancher: Das Mittelalter wird zurück-
kehren. Nur sehr wenige werden in Zukunft lesen und
schreiben können.
Mönche, Minderheiten, Majuskeln.
Sagt einer.
Ich sage:
Sackgassen, Satellitenschüsseln, Kreisel. Glasbausteine.
Wird es auch in Zukunft geben.
In der nächsten und übernächsten Generation.
An der Stirn der Doppelgaragen: Basketballkörbe.
Wird es geben.
Kopfsteinpflaster: wird es geben, Ungeschicklichkeit und
Namensschilder.
Krawall, Fehlplanung, Monitoring.
Kofferbomber.
Langeweile.
It-Bags.
Dreck.
Auch die Peripherie wird Bestand haben. Die Banlieue. Der
Wird, wie überall, überall sein.
Wasser wird dagegen nur rationiert ausgegeben.
An öffentlichen Brunnen.
Und in Supermärkten. Aber die wird es nicht mehr geben.
Stattdessen: Riesige Brühwürfel. Auch in den engen Gassen
der Altstadt.
Siehst Du sie auch?
Falls Du hundert Jahre alt wirst, wirst Du sie sehen.
Zerwürfnisse wird es geben, Ermüdung und strahlende
Sieger.
Lose, Lotterien, Lotto.
Zusammengehalten von Lassoband.
Constanzes wird es geben, bin ich sicher.
Völkerwanderungen.
Mehrheitsbeschlüsse.
Ungesüßtes Obst.
Nicht mehr geben wird es Stadtverwaltungen, von ihrem
Vorrecht Gebrauch machend, Straßen und Plätze der
Trabantenstädte (hier: Weilheim, Neuenhagen und Kelsterbach)
in ein Sterberegister der Lokalpolitik zu verwandeln, der
vergangenen Kämmerer, Einpfleger, Fahrscheinkontrolleure und
Lokalasservatoren.
Evangelische Messen – wird es geben.
Keine Beichten, kein Tierfutter,
Bürgermeister, Finanzinspektoren, Oberregierungsräte und
andere Vertreter der höheren Besoldungsgruppen –
abgeschafft.
Henker wird es noch geben.
Steckdosen wird es geben.
Kein Facebook.
Falls wir hundert oder gar hundert fünfzig Jahre alt
werden, werden wir ohne Facebook auskommen müssen.
Kleine Horden verwilderter Alter, denen die Jungen die
Rente gepfändet haben, werden durch die Ruinen der
Biotech-Fabriken ziehen – Ruinen, die den Übergang von der
Stadt zum Land (hier: Weilheim, Neuenhagen und Kelsterbach)
markieren – neben hochgeistig-gelben Rapsfeldern,
Wertstoffhöfen, in bunten Scherben badenden
Altglascontainern, ausrangierten Fernsehsendern und debilen
Möbelhäusern.
Die Reihenhaus-Kolonien werden verwaist sein und beim
Anflug geplünderten Vogelnestern gleichen. Nicht einmal
Werbung wird hier durch die Türschlitze geworfen werden
wollen.
Werden wollen.
Politik? An den Küsten Pakistans abgewrackt.
Der Blödsinn des Kämmens – erkannt.
Kunst wird diktieren. Poeten werden auf den Thronen
türmen.
Man wird frei durchatmen können.
Was kriechen wird, ist das Volk, der Schwarm, die
Struktur.
Plebs, Mob.
Unterschichten.
Davon wird man nichts kaufen können.
Der Rest wird sich den schönen Dingen zuwenden.
Dem Volltanken, Sattfressen, Videos schlucken.
Teppichstangen, an denen Menschen hängen, die sich erhängt
haben. Wird ihr Geheimnis bleiben.
Argumentenbäume. Perspektivisch verkürzt drehen sich die
Toten an den Ästen wie in einem magischen Spiegel.
Immer der Nase nach.
Mein himmlisches Kind.
Hörst Du den Wind auch?
Du wirst ihn hören.
Russische Puppen wird es noch geben, aber die Russen sind,
falls Du hundert Jahre alt wirst, längst weggezogen. Der
Krieg ist lange her.
Dazwischen dann immer mal wieder Schaukästen mit
herabgelassenen Jalousien oder leere Pappschilder, auf denen
vor Jahrzehnten (Jahrhunderten?) Wahlplakate klebten und die
nun, nach langen Jahren der Nutzlosigkeit, den
Laternenmasten aus Langeweile in die Zange nehmen.
Seltsame Welt hinter der Kante der Gegenwart.
Nähert sich aber, nähert sich.
Seit Jahren leben wir dort – über den Bergen, jenseits den
Zwergen – in Wohnwagen. Uns geht es nicht schlecht. Etwas
mühsam das tägliche Wasser holen am Markt.
Überall stinken vergammelte Podcasts zum Himmel.
Vom Rückfenster aus sehe ich, den Kopf von der fleckigen
Matratze hebend, über den Soldatenfriedhof auf eine ferne
Hollywoodschaukel.
Hollywoodschaukel.
Vielleicht werde ich sie mir näher ansehen.
In fünfzig oder hundert Jahren.
Ein Vorhängeschloss, das verhindern soll, dass man sie
stiehlt. Dabei lebt in dieser Gegend kaum einer mehr. Und
wie es aussieht, wird auch nie wieder einer herkommen
wollen.
Werden wollen.
Hollywoodschaukeln werden schaukeln bleiben.
ARCANA DREI:
ZUKUNFT WIRD GEGENWART GEWESEN SEIN
Aus Sozialpolitik wird keine Politik!
Rentner, dass es kracht.
Überall Hochwasser.
Berge des Wahnsinns.
Der Wind pfeift durch die Ritzen.
Deutschland war einmal.
Du wirst es nicht sein.
Berlin – dreigeteilt: Eins für die Punks, eins für die
Erben von Joop, eins für die Kassen.
Vorwände gibt es nicht mehr.
Lügen, Verdrehungen, faule Amtsgeheimnisse – das ist das
Tagesgeschäft.
Tagesgeschäfte – abgeschafft.
Die Renaissance? Abgedankt. Kein Mensch nirgends.
Was es gibt, gibt der Staat.
Strom für alle.
Rente bis 130 (Richtgeschwindigkeit).
Care-Pakete.
Notgroschen – und das nicht zu knapp!
Flatrate. Langsam abzustottern.
Daneben werden sich sämtliche Türen in die Gegenrichtung
öffnen lassen müssen.
Metaphysik wird in kleinen, nummerierten (entmagneti-
sierten) Münzen ausbezahlt.
Ganz sicher wird man in Fahrtrichtung aussteigen werden.
Arschgeweih hochhalten.
Gründe werden reihenweise absaufen.
Philosophie wird nicht mehr helfen.
Nicht Chemie, Notfallchirurgie, Blasphemie.
Die Zukunft wird RUHMVOLL oder sie wird nicht sein.
Elefantenrunden, Rucksackbomber, Castingshows.
Die werden nicht aufgeben.
In jeder Ecke: Parallelgesellschaften.
Alle werden über alle regieren – ein hübsches Chaos.
Ach.
O weh.
Futur zwei.
Eins.
Meinten sie
AUS
VIER:
ORAKEL
– Ein Spiel: Schließe die Augen und sag, was Du siehst, Sag.
– Ich sehe einen Tennisball.
Eine Zeit lang läuft er über die Netzkante, ohne zu er-
kennen zu geben, auf welche Spielfeldseite er schließlich
fallen wird.
Dass die Zeit viel mehr Dimensionen besitzt als ein
Tennisball, macht sie zu keinem.
Wie wird man Bestseller?
Für den Buchhandel ist nur ein verkauftes Buch ein gutes Buch. Aber gilt dieser Satz auch für Schriftsteller – mithin für die, die Bücher schreiben? Er gilt jedenfalls für die, die mit den Rechten von Büchern handeln.
Uwe Tellkamp ist es keineswegs egal, was der Markt mit seinen Büchern macht. Julia Franck interessieren die Verkaufszahlen nur am Rand – sie schreibt, um ihrer Stimme Ausdruck zu
verleihen. Dass sich ihr Buch Die Mittagsfrau außerdem auch gut verkauft, bringt zwar ökonomische Vorteile – ist aber nicht Grund für das Schreiben. Der gelernte Berliner Bernd Cailloux betrachtet die heutige Kultur des Bestsellers skeptisch – er bezweifelt die Befähigung zum literarischen Schreiben vieler der gerade angesagten Autoren. Und Daniel Kehlmann musste sich erst einmal von dem Druck befreien, der sein phänomenaler Bestseller Die Vermessung der Welt auf ihn ausgeübt hat. Erfolg kann auch irgendwann unheimlich werden, wie Pascal Mercier betont. Lässt sich Erfolg planen?
Wie wird man Bestseller lautet die Frage, der diese Dokumentation nachgeht. Eine Spurensuche in Deutschland und Frankreich.
Mit Daniel Kehlmann, Pascal Mercier, Julia Franck, Uwe Tellkamp, Véronique Olmi und Bernd Cailloux.
Wie wird man Bestseller?
52’ – 2008 © SWR / ARTE
Buch + Regie: Thomas Palzer / Kamera: Andreas Bein / Ton: Markus Siegle / Schnitt: Sabine Dietrichs-Jany / Redaktion: Caroline Mutz, Kurt Schneider
Wie man Literatur-Nobelpreisträger macht. Bericht aus der Geheimgesellschaft
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Seit seiner erstmaligen Verleihung 1901 haben ihn bis heute 102 Schriftsteller und Dramatiker verliehen bekommen: den Nobelpreis für Literatur, die höchste Auszeichnung und – damit verbunden – die höchste Dotierung, die für ein literarisches Werk vergeben wird. Andere warten noch darauf – manche ein Leben lang.
Viel hat man der Schwedischen Akademie in den gut 100 Jahren ihrer Vergabepraxis vorgeworfen – ästhetischen Konservativismus, Anachronismus, Sektierertum, Provinzialismus, Eurozentrismus uvm. Jean-Paul Sartre hat den Preis sogar abgelehnt – freilich soll er Jahre später versucht haben, das Preisgeld von 10 Millionen Kronen nachträglich einzufordern. Seiner etwas unorthodoxen Bitte wurde nicht entsprochen.
Verliehen wird der Literaturnobelpreis alljährlich von der Schwedischen Akademie, einer ehrwürdigen Institution, die in der Altstadt Stockholms residiert und einer Geheimgesellschaft gleicht: Die 18 Mitglieder sind auf Lebenszeit gewählt, legen ein Schweigegelübde ab und tagen nur unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Sie dürfen in der heißen Phase keine E-Mails versenden, Packpapier verhindert einen Blick auf die Buchtitel, mit denen sie sich befassen. Die Protokolle über ihre Entscheidungen unterliegen einer Sperrfrist von 50 Jahren. Nur eine Papstwahl kann mit so viel Geheimniskrämerei konkurrieren.
Wie man Literatur-Nobelpreisträger macht. Bericht aus der Geheimgesellschaft
Dokumentation, Deutschland @ 2006 SWR / arte / megaherz
Buch + Regie: Thomas Palzer / Kamera: Hans Peter Fischer / Ton: Stefan Ravacz / Schnitt: Quang Bobrowski / Redaktion: Martina Zoellner
Ruin. Roman. Blumenbar 2005
„Die Hauptsachen“, im vergangenen Herbst auf deutsch erschienen, ist nur ein Beispiel aus einer verblüffenden Anzahl von Romanen, autobiographischen Schriften oder Sachbüchern, die sich gegenwärtig auf die Suche nach dem Vater begeben. Sie loten die Vaterschaft in allen Aspekten aus, trauern um den verblaßten Helden, fahnden nach einem schwer greifbaren Phantom: Hanns Josef Ortheils „Die geheimen Stunden der Nacht“ etwa, Jens Petersens Aspekte-gekröntes „Die Haushalterin“, Frank Goosens „Pink Moon”, Thommie Bayers „Singyogel“, Richard von Schirachs „Der Schatten meines Vaters“, Thomas Langs „Am Seil“, Thomas Palzers “Ruin” oder zuletzt Lars Brandts „Andenken“ – sie alle kreisen um Vaterschaft und Kindesbürde, um alte Rechnungen und neue Gerechtigkeit, um innerfamiliäre Kontinuität und den Versuch, aus den von den Eltern vorgezeichneten Bahnen auszubrechen. Und nicht zuletzt um das oft verzweifelte Bemühen, des Vaters habhaft zu werden, das schemenhafte Bild mit Leben anzufüllen.
Tilmann Spreckelsen in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
