Ruin. Roman. Blumenbar 2005

Ruin. Roman von Thomas Palzer.

Es beginnt im strahlenden Azur des Golfs von Neapel mit einem symbolischen Treppenaufstieg zum berühmten Haus des Schriftstellers Curzio Malaparte (dem Verfasser des Antikriegsromans “Kaputt”) und endet einsam im Tresorraurn einer Schweizer Bank: “Ruin”, die Schicksalssymphonie eines Mannes im biografisch gefährlichen Alter um die fünfzig. Sich “auf eine komplizierte Art glücklich” zu fühlen, bedeutet für Protagonisten eines postmodernen deutschen Gesellschaftsromans ungeheuer viel. Der ergrauende Filmkaufmann Viggen glaubt sich gegen die Zumutungen einer immer banaler werdenden Konsumwelt mit heiterer Gleichgültigkeit wappnen zu können. Doch als gleichzeitig der Tod und eine neue Liebe in sein Leben treten, gerät er in eine Abwärtsspirale, die Thomas Palzers bildermächtige Sprache kräftig beschleunigt.

Kathrin Hillgruber im kulturSPIEGEL

Ruin

Thomas Palzer Ruin

Gewohnt sind wir von Thomas Palzer überraschende, kluge und anschauliche Verbindungen vom Abfall des Alltags mit weitreichenden Diagnosen der Gegenwart. Jetzt aber, mit dem Roman Ruin, kommt etwas besonderes hinzu: die Versenkung in eine abgründige Erfahrung, die Konfrontation mit dem Unausweichlichen. Um es auf kürzest mögliche Weise und mit den wichtigsten Wörtern der Welt zu sagen: Es geht um den Tod eines geliebten Menschen.

Hubert Winkels

Interview Lesezeichen 12/2005

Ruin. Roman. Blumenbar 2005

 Armin Kratzert im Interview mit Thomas Palzer für BR Lesezeichen
Armin Kratzert im Interview mit Thomas Palzer für BR Lesezeichen

Thomas Palzer hat mit Ruin einen vielschichtigen Zeitroman geschrieben, eine Liebesgeschichte und einen Gesellschaftsroman. Er verwebt die Biografie des Vaters, des reichen und renommierten Kunsthändlers, mit der noch längst nicht glücklich beendeten politischen Zusammenführung von Ost und West. Er erzählt auf eine erstaunlich einfühlsame und dezente Weise von einer verbotenen Liebe (von deren Unmöglichkeit freilich nur der Leser und Dora etwas wissen, während Viggen bis zum Schluss unwissend bleibt). Und er wendet ein Verfahren an, das schon Michel Houellebecq in seinen Roman erfolgreich erprobt hat (mit dessen analytischer Kraft und Beobachtungsgabe Palzer es aufnehmen kann, ohne dessen Schärfe zu erreichen): Immer wieder finden sich in Ruin längere essayistische Passagen, die eine gesellschaftliche Tendenz, eine historische Entwicklung sozusagen als Behauptung und mit Zugriff auf das Große und Ganze in den Text stellen, um dann im Einzelnen, in den Charakteren ausgeführt und bewiesen zu werden.

Christoph Schröder am 22. 2. 2006 in der
Frankfurter Rundschau

„Die Hauptsachen“, im vergangenen Herbst auf deutsch erschienen, ist nur ein Beispiel aus einer verblüffenden Anzahl von Romanen, autobiographischen Schriften oder Sachbüchern, die sich gegenwärtig auf die Suche nach dem Vater begeben. Sie loten die Vaterschaft in allen Aspekten aus, trauern um den verblaßten Helden, fahnden nach einem schwer greifbaren Phantom: Hanns Josef Ortheils „Die geheimen Stunden der Nacht“ etwa, Jens Petersens Aspekte-gekröntes „Die Haushalterin“, Frank Goosens „Pink Moon”, Thommie Bayers „Singyogel“, Richard von Schirachs „Der Schatten meines Vaters“, Thomas Langs „Am Seil“, Thomas Palzers “Ruin” oder zuletzt Lars Brandts „Andenken“ – sie alle kreisen um Vaterschaft und Kindesbürde, um alte Rechnungen und neue Gerechtigkeit, um innerfamiliäre Kontinuität und den Versuch, aus den von den Eltern vorgezeichneten Bahnen auszubrechen. Und nicht zuletzt um das oft verzweifelte Bemühen, des Vaters habhaft zu werden, das schemenhafte Bild mit Leben anzufüllen.

Tilmann Spreckelsen am 10. 3. 2006 in der
Frankfurter Allgemeinen Zeitung

Mit großer erzählerischer Raffinesse haucht Thomas Palzer dem alten Topos von der Seelenverwandtschaft neues Leben ein. Er weiß, dass in der Liebe ohne den Gleichklang der Seelen nichts geht. Und er scheut sich nicht, dieses altmodische Wort in seinen mit zeitkritischen Passagen brillierenden Roman einzuführen. Gegenwartsdiagnostik und Neubelebung von Denkmodellen, die auf dem Weg der Modernisierung verloren gingen, kommen hier zusammen. Erst das macht diesen Roman, für den der Autor den Tukan-Preis bekommen hat, besonders. Dora ist Viggens Halbschwester. Der Leser erfährt das bald, Viggen wird es bis zum Schluss nicht wissen. Palzer integriert philosophisches Denken so unauffällig in seinen Roman, dass die Lesefreude ungetrübt bleibt, obwohl er den Geist der Romantik atmet und statt “Ruin” wohl eher “Ruine” heißen müsste. Dort weht bisweilen ein ziemlich frischer Wind.

Meike Fessmann am 3. 2. 2006 in der
Süddeutsche Zeitung

Ein Mann vor dem finanziellen Abgrund; ein Mann namens Viggen, Münchener und stark auf die fünfzig zugehend; ein Mann, der zwar die Kraft hat, sich andere mögliche Leben für sich vorzustellen. Nur besteht deren Gemeinsamkeit darin, “daß sie auf einen phantastischen Ruin hinarbeiteten”. Und eine Frau, in Leipzig geboren, in Wroclaw zu Hause: Dora. Sie hasst es, verpflichtet zu sein, Kompromisse zu machen, langfristige Beziehungen einzugehen, und bezeichnet sich als “Ausnahmezustand” – diese beiden komplizierten Personen lässt Thomas Palzer in seinem schön nachhaltigen Roman “Ruin” (Blumenbar) aufeinander treffen. Der Anlass: Der Tod von Viggens Vater, der auch Doras Vater ist. Hier die bundesrepublikanisch geprägte bürgerliche Familie, dort das uneheliche Kind einer Ost-West-Liebschaft in den frühen Sechzigerjahren. Und es steckt noch mehr in “Ruin”: der Tod eines nahen, geliebten Menschen und das damit unweigerlich einsetzende Sinnieren über Sinn und Unsinn des Lebens; eine eigentümliche Liebesgeschichte, deutsch-deutsche Vergangenheit und Gegenwart, osteuropäische Geschichte. Bei aller Stoffdichte ist “Ruin” unaufdringlich erzählt, stellt aber von Beginn an eine starke, intensive Nähe zu den Protagonisten her. Was daran liegt, dass Palzers unablässig fließende Bewusstseinsprosa sich ihrer selbst so sicher ist, wie sie von den Erfordernissen der Gegenwart weiß.

Gerrit Bartels am 26. 11. 2005 in der
taz

Es beginnt im strahlenden Azur des Golfs von Neapel mit einem symbolischen Treppenaufstieg zum berühmten Haus des Schriftstellers Curzio Malaparte (dem Verfasser des Antikriegsromans “Kaputt”) und endet einsam im Tresorraurn einer Schweizer Bank: “Ruin”, die Schicksalssymphonie eines Mannes im biografisch gefährlichen Alter um die fünfzig. Sich “auf eine komplizierte Art glücklich” zu fühlen, bedeutet für Protagonisten eines postmodernen deutschen Gesellschaftsromans ungeheuer viel. Der ergrauende Filmkaufmann Viggen glaubt sich gegen die Zumutungen einer immer banaler werdenden Konsumwelt mit heiterer Gleichgültigkeit wappnen zu können. Doch als gleichzeitig der Tod und eine neue Liebe in sein Leben treten, gerät er in eine Abwärtsspirale, die Thomas Palzers bildermächtige Sprache kräftig beschleunigt.

Katrin Hillgruber am 21. 11. 2005 im kulturSPIEGEL

Hubert Fichte – Der schwarze Engel

Ein Mensch will frei sein. Sein beispielloses Werk ist beredtes Zeugnis dafür. Es umfaßt die Lebensgeschichte seit der Kindheit. Und es umfaßt drei Kontinente: Europa, Lateinamerika, Afrika. Unter den deutschsprachigen Nachkriegsschriftstellern gibt es keinen kosmopolitischeren als diesen Menschen. Der 1986 verstorbene Hamburger Schriftsteller Hubert Fichte ist eine Ausnahmeerscheinung. Halbjude, Halbwaise, bisexuell und Erforscher der Subkulturen, des Abseitigen und des Exotischen ist er – nach bürgerlichen Maßstäben gerechnet – ein Ausgeschlossener.

Hubert Fichte wird 1935 in Brandenburg geboren. Die Familie zieht nach Hamburg. Der Vater, ein jüdischer Kaufmann, flieht nach Schweden. Nach Kriegsende arbeitet die Mutter als Schauspielerin und Souffleuse an verschiedenen Hamburger Theatern. Fichte wird zum Kinderdarsteller an diversen Bühnen. Für seine Schauspielerkarriere bricht er die Schule ab. Der Stimmbruch wird für ihn zum Karriereknick. Die staatliche
Schauspielprüfung besteht er nicht.

Hubert Fichte. Der schwarze Engel (via TRACKTVLINKS)
Dokumentation, Deutschland © 2005 SWR / S. Fischer Stiftung

Buch + Regie: Thomas Palzer. Kamera: Uli Nissler. Ton: Hans Lienert. Schnitt: Saskia Metten. Redaktion: Martina Zöllner

Fichte orientiert sich neu. Es entstehen erste Erzählungen, Texte für den Rundfunk sowie ein Theaterstück. Nach Ausflügen in die Provence, in die Landwirtschaft und nach Schweden, lernt Fichte 1961 seine spätere Lebensgefährtin kennen, die Fotografin Leonore Mau. Ihr Abkommen lautet: Er will sie berühmt machen, sie soll ihn berühmt machen. Zum Marcel Proust der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Fichte erforscht den Kiez. Er interviewt Sandra, die Prostituierte, Johnny, den Stricher, Wolli Indienfahrer, Besitzer einer Etage im Palais d’Amour auf St. Pauli, die er Mädchenwohnheim nennt, und Gunda, eine 26jährige lesbische Prostituierte. 1968 beginnt Fichte mit der Erkundung der afroamerikanischen Welt, ihrer Religionen und ihres Synkretismus zwischen Tradition, Magie und moderner Plastikkultur. Er ist fasziniert von Veränderung und Erweiterung des menschlichen Bewußtseins und von kulturellen Praktiken wie Kräuterabsude und Trance, die eine solche Veränderung bewerkstelligen.

Wie bei keinem anderen Autor sind bei Fichte Biographie und Werkgeschichte miteinander verschränkt. Vom Erzählungsband Aufbruch nach Turku über die Palette und den Versuch über die Pubertät bis zur neunzehnbändigen Geschichte der Empfindlichkeit deckt sich der Schreibprozeß mit den Reisen, die der Autor zusammen mit der Lebensgefährtin und Fotografin Leonore Mau unternommen hat:
nach Portugal, Griechenland, Marokko, Brasilien, Haiti, in die USA, nach Tansania, Senegal und Togo. Alles Schreiben, sagt Fichte, sei Hinwendung zur Welt.

1982 kehrt Fichte von seiner dritten Brasilienreise zurück. Der Hamburger Hauptbahnhof – zentrales Ziel der Exkursionen des Autors in die Gegen- und Stricherwelt – ist umgebaut. Die Stricher sind weg. Erste Meldungen von Aids erreichen die Öffentlichkeit. Düstere Hinweise darauf, daß eine ganze Welt vor dem Untergang steht.

1986 stirbt Hubert Fichte an Lymphdrüsenkrebs, vermutlich eine Folge der Immunschwäche Aids. Bis zuletzt arbeitet er an der Vollendung der Geschichte der Empfindlichkeit.

In dem Film kommen – natürlich neben Fichte selbst – noch einmal all die zu Wort, die Fichte gekannt oder die mit ihm gearbeitet haben, die seine Freunde waren oder die teilnehmenden bzw. skeptischen Beobachter seiner Karriere, seine Lieben, seine Lektoren, seine Interviewpartner oder seine Konkurrenten – und seine Bewunderer: Fritz J. Raddatz, Peter Rühmkorf, Hermann Peter Piwitt, Peggy Parnaß, Serge Fiorio, Leonore Mau, Wolfgang von Wangenheim, Peter Laemmle, Manon Griesebach, Thomas Meinecke uva.

 

Heute, fast 20 Jahre nach Fichtes Tod, ist sein literarisches Werk fast in Vergessenheit geraten. Thomas Palzers Porträt Hubert Fichte: Der schwarze Engel zeigt, dass eine Beschäftigung mit Fichte ein spannendes Panorama an Facetten und Gegensätzen eröffnet. Offenbar hat jeder, der hier zu Wort kommt, Fichte und seine Literatur aus einer anderen Warte kennen gelernt … In der Literatur wollte der Autor die Devise verfolgen, “das Inkohärente stehen zu lassen”, nicht viel anders hält es auch der Filmautor, der sich im Kommentar zurück hält, nichts glatt bügelt und auch auf den Anspruch der Vollständigkeit verzichtet. Am Ende steht das Bild eines Menschen, der seine ureigenen Widersprüche erst in der Literatur aufzuheben wusste.

Lasse Ole Hempel am 4. April 2005 in der
Frankfurter Rundschau

Hubert Fichte – Der schwarze Engel. Fernsehdokumentation SWR 2004

Heute, fast 20 Jahre nach Fichtes Tod, ist sein literarisches Werk fast in Vergessenheit geraten. Thomas Palzers Porträt Hubert Fichte: Der schwarze Engel zeigt, dass eine Beschäftigung mit Fichte ein spannendes Panorama an Facetten und Gegensätzen eröffnet. Offenbar hat jeder, der hier zu Wort kommt, Fichte und seine Literatur aus einer anderen Warte kennen gelernt … In der Literatur wollte der Autor die Devise verfolgen, “das Inkohärente stehen zu lassen”, nicht viel anders hält es auch der Filmautor, der sich im Kommentar zurück hält, nichts glatt bügelt und auch auf den Anspruch der Vollständigkeit verzichtet. Am Ende steht das Bild eines Menschen, der seine ureigenen Widersprüche erst in der Literatur aufzuheben wusste.

Lasse Ole Hempel in der Frankfurter Rundschau

 

Russland lesen I – III

Die dreiteilige Dokumentarfilmreihe Russland lesen erzählt die wechselhafte Geschichte der russischen Literatur von Puschkin bis Solchenizyn.

Russland lesen. 3 x 60 Minuten
Dokumentation 2003 © zero one film / S. Fischer Stiftung / SWR

Buch: Marina Korenva + Thomas Palzer / Regie: Thomas Palzer / Montage: Hanna Muellner und Lorenz Kloska / Kamera: Dragomir Radosavljevic / Ton: Klaus-Peter Schmidt / Sprecherin: Eva Mattes und Sabine Kastius / Wissenschaftliche Beratung: Antje Contius und Benjamin Beck / Juristische Beratung: Daniel Goroshko / Produktionsleitung: Tassilo Aschauer / Redaktion: Martina Zoellner und Kurt Schneider / Produzenten: Dietrich Simon und Thomas Kufus / Mit besonderem Dank an das russische Team: Olga Kalinina, Elena Kerebko, Tatjana Jakowlewa, Alexander Schukow, Elena Petuchowa Maria Malikowa, Alexander Illarionow.

 

Von Prophetenmund zu Prophetenohr

Unter Gogols Mantel: „Russland lesen“, fordert die S. Fischer Stiftung und gibt dafür klassische Texte und eine Fernsehserie heraus

In diesem Herbst kommt allerhand zusammen: Volker Neumann, der Chef der Frankfurter Buchmesse, setzt mehr denn je auf den Event und die Anbindung des Buches an Film und Fernsehen. Im Schwerpunktthema Russland wird das intermediale Rezept gleich umgesetzt. Pünktlich zur Messe hat die S. Fischer Stiftung ihr erstes Projekt entwickelt: Unter dem Titel „Russland lesen“ erscheint im Fischer Taschenbuch Verlag eine Kassette mit klassischen Texten der russischen Literatur. Parallel dazu wurde im Auftrag der Stiftung eine dreiteilige Fernsehserie produziert, die im Herbst über die dritten Programme mehrerer Anstalten ausgestrahlt wird.

Der Film von Thomas Palzer bietet bestes Bildungsfernsehen, ausgestrahlt zu später Stunde. Rare Bilddokumente aus russischen Archiven sind zu sehen, die bis zu den Puschkin-Feiern des Jahres 1880 reichen. Lobenswert ist auch die von Swetlana Geier herausgegebene Kassette (sechs Bände, 39,90 Euro), obgleich sie, außer einer von Ulrich Schmid besorgten Anthologie russischer Lyrik, keine neuen Titel enthält, sondern Lizenzausgaben anderer Verlage: Erzählungen von Puschkin, Gogol und Tolstoj, neben Dostojewskijs „Aufzeichnungen aus dem Kellerloch“ und einer nützlichen Sammlung von Programmschriften zur russischen Literatur, die Geier bereits im Puschkin-Jahr 1999 publiziert hatte.
„Wir kommen alle aus Gogols Mantel“, hatte Dostojewskij bekannt, in der prophetischen Überzeugung, dass dieser Mantel zuvor von Puschkin getragen wurde und danach alle künftigen Generationen der russischen Literatur bekleiden sollte. In diesem Sinne präsentieren Fernsehserie und Kassette die Geschichte der russischen Literatur als einen Stafettenlauf von Prophet zu Prophet, bis zur Rückkehr des letzten Propheten – Alexander Solschenizyn – in sein Heimatland, wo ihn keiner mehr hören will. Nur in der Kassette kommt die Gegenwart, von Lyrik abgesehen, ein wenig zu kurz, vielleicht aufgrund fehlender Lizenzvergaben.

Im Medienverbund wurde die S. Fischer Stiftung allerdings von den Tücken des „cross-promotion“ eingeholt. In dem geschmackvoll gestalteten Begleitheft – im Geleitwort lobt Christina Weiss den Versuch, „die Kraft von Büchern mit der Macht des Fernsehens zu koppeln“ – taucht gleich zweimal der Name von Natalja Ginzburg auf: Die Grand Dame der italienischen Literatur, deren Ehemann, der Slawist Leone Ginzburg, im Jahr 1944 in faschistischer Kerkerhaft ermordet wurde, steht da als Vertreterin der russischen Dichtung zwischen Anna Achmatowa und Marina Zwetajewa, und neben Ossip Mandelstam und Isaak Babel wird sie zu einem Opfer des Stalinismus erklärt. Statt des Medienverbundes wäre der Stiftung zu wünschen, sich künftig stärker auf ihr Kerngeschäft, die Realisation schwieriger und hoffnungsloser editorischer Projekte – zum Beispiel die Kritischen Ausgaben der Werke Hugo von Hofmannsthals und Thomas Manns –, zu konzentrieren und die Kooperation – mit der „Stiftung Lesen“ zu suchen. Und mit dem Lesen gleich im eigenen Haus anfangen: Zum Beispiel in den Lizenzausgaben der Werke von Natalia Ginzburg oder in Maja Pflugs dort 1999 erschienener Biographie.

Volker Breidecker am 17. 09. 2003 in der Süddeutschen Zeitung

 

Nirgendwo auf der Welt ist dem Dichter eine so unerbittliche Pflicht auferlegt worden wie in Rußland – vielleicht, weil von den Zaren bis zu den Sowjets die Freiheit in diesem riesigen Land nur einen einzigen Ort hatte: den der Literatur. Der russische Dichter sollte moralischer Anführer und Prophet eines Landes sein, von dessen offizieller politischer Überzeugung er sich freilich oft genug distanziert hat – und von dessen bäuerlicher Tradition er kraft seiner Bildung entfremdet blieb. Kein Land auf der Welt hat vielleicht darum seine Dichter und Schriftsteller so gefürchtet, so hartnäckig verfolgt und so notorisch in die Verbannnung geschickt wie Rußland.

 

Puschkins Vermächtnis

(I): 1849 wird Fjodor Dostojewski – der zu dieser Zeit schon als Schriftsteller hervorgetreten ist – als Mitglied eines Verschwörerzirkels verhaftet, zum Tode verurteilt, eine Minute vor Vollstreckung des Urteils begnadigt und nach Sibirien in die Verbannung geschickt. Dort lernt er das Personal und deren Psychologie für seine folgenden Romanerfolge kennen: Schuld und Verbrechen, Die Dämonen, Der Idiot und Die Brüder Karamazow. 1859 kehrt Dostojewski nach Petersburg zurück und schreibt sich in die erste Garde der russischen Literatur. 1880 hält er in
Moskau – anläßlich der Enthüllung eines Puschkin-Denkmals – eine folgenreiche Rede, in der Puschkin zum Urahn, Erfinder und Propheten der russischen Literatur erklärt wird. Das dann so genannte Goldene Zeitalter der russischen Literatur –Puschkin, Gogol, Lermontov und Gontscharow umfassend – stiftet dem Land zwischen Europa und Asien nationale Identität.

Propheten der Revolution: Tolstois Erben

(II): Zu Anfang hat Graf Tolstoi wenig literarische Ambitionen. Er stammt aus einer der vornehmsten Familien Rußlands. Ziellos lebt er auf dem Gut Jasnaja Poljana dahin, bis er der Kaukasus-Armee als Freiwilliger beitritt. Die Lektüre
Rousseaus spricht ihn stark an und – weckt sein literarisches Talent. Nach einigen erfolglosen Versuchen entstehen die homerhaften Epen Krieg und Frieden und Anna Karenina. Der realistische Roman findet hierin seinen Höhepunkt.

Dostojewski und Tolstoi gelten – jedenfalls im Westen – als das Dioskurenpaar der russischen Literatur. Bei aller
künstlerischen und weltanschaulichen Spannung zwischen den beiden Dichterfürsten treffen sie sich doch in einem: in ihrem religiös-sittlichen Rigorismus. Beide lehnen die Orientierung des Adels nach Europa ab (russische Fürstinnen waren der Ansicht, Gogol sei etwas für Kutscher) und streiten für eine Russifizierung Rußlands. In Krieg und Frieden ruft der Anblick eines „authentischen“ russischen Bauerntanzes die europäisierte Seele der Adeligen Natascha zur Besinnung.

Dostojewski wie Tolstoi halten die russische Seele für dem westlichen, korrupten Materialismus moralisch überlegen. Tolstois von Rousseau initiiertes, volkspädagogisches Interesse mündet in eine von dem Schriftsteller betriebene Schulreform – und in eine Literatur, die voller guter Ratschläge ist. Schließlich distanziert sich Tolstoi – ähnlich wie Gogol, der seine Manuskripte verbrennt – in einer ideologischen Wende von der Literatur – und wird zu einer geistigen Autorität ersten Ranges. Man pilgert zu dem Schriftsteller-Propheten wie zu einem Heiligen. Tolstoi erfüllt, was
Dostojewski zum unbedingten Amt des Schriftstellers erklärt hat: Der Welt den russischen Christus zu offenbaren.

Nach dem Höhepunkt des realistischen Romans gerät die russische Literatur in eine Krise. Nach Neuem wird verlangt, nach Revolution und Erneuerung. Dazu kommt die beginnende Industrialisierung. Auto, Telefon und Kinematographie erobern rasch die großen russischen Städte. Chechow führt die klassische Schreibweise der russischen Literatur ihrer Vollendung zu. Der Symbolismus und mit ihm die Schriftsteller Brysow, Blok, Achmatowa und Gippius / Mereschkowski treten auf den Plan. Die Propheten prophezeien den Anbruch einer neuen Zeit. Doch die russische Decadénce wird zunächst „nur“ mit dem Ersten Weltkrieg konfrontiert.

Sieg über die Sonne: Diktatur der Utopie

(III): Majakowskis clowneske Vorträge verkünden Rußland sein Futur, seine Zukunft. Der Futurismus in all seinen Spielarten weckt Hoffnungen – doch die Oktoberrevolution (und der Bürgerkrieg zwischen Weißen und Roten 1918 – 20) sowie die Herrschaft des in Kunstdingen konservativen Lenin (und erst recht die Stalins) enttäuschen.

Die Verfolgungen und Erschießungskommandos lösen die erste große Emigrationswelle russischer Intellektueller zwischen 1920 und 1944 aus. Berlin wird zum Zentrum der russischen Exilanten, die russische Literatur insgesamt spaltet sich auf in Exil- und Sowjetliteratur. Majakowski begeht Selbstmord, Blok, der die Bolschewiki anfangs begrüßt hatte, wird von der grauenhaften Realität physisch und psychisch aufgerieben. Zinaida Gippius und Mereschkowski lehnen die Roten ohnehin unverhohlen ab.

Stalin will Pasternak zum neuen Propheten der russischen Literatur machen, doch dieser lehnt ab. Zensur und Bevormundung im Dienste des Volkes sind seine Sache nicht. So fällt die Wahl auf Maxim Gorki, dessen Theaterstücke im Westen monatelang die Bühnen bespielen.

Auf dem Schriftstellerkongreß 1934 verkündet Gorki den sowjetischen Realismus als Maßgabe für das künftige Kunstschaffen – das Ende lebendigen Schaffens zugunsten von erbaulicher Gesinnungsliteratur. Nach einer gewissen Tauwetterphase unter Chrustschow verhängt Breschnew wieder den Horizont. Wer Talent besitzt geht ins Exil. Wie Brodsky und Solchenizyn.

1991 bricht das Sowjetsystem zusammen. Solchenizyn bereitet seine Rückkehr aus den USA vor. Er inszeniert sich – in der Tradition Dostojewskis und Tolstois – als Prophet, doch keiner will ihn mehr hören.

 

Teil I: Puschkin, Gogol, Lermontov, Gontscharow, Turgenjew,
Dostojewski.

Teil II: Tolstoi, Symbolismus (Brysow, Blok, Achmatowa (1),
Iwanow), Gorki, Chechow.

Teil III: Majakowski, Achmatowa (2), Pasternak, Bulgakow, Charms,
Pasternak (2), Brodsky, Solchenizyn.

Interviews mit: Viktor Jerofejew, Vladimir Tunimanow, Andrej Voznesenski, Boris Averin, Nikolai Alexandrow, Jakov Gordin und Vladimir Markowitsch.

Russland lesen I – III. Fernsehdokumentation

 

In diesem Herbst kommt allerhand zusammen: Volker Neumann, der Chef der Frankfurter Buchmesse, setzt mehr denn je auf den Event und die Anbindung des Buches an Film und Fernsehen. Im Schwerpunktthema Russland wird das intermediale Rezept gleich umgesetzt. Pünktlich zur Messe hat die S. Fischer Stiftung ihr erstes Projekt entwickelt: Unter dem Titel „Russland lesen“ erscheint im Fischer Taschenbuch Verlag eine Kassette mit klassischen Texten der russischen Literatur. Parallel dazu wurde im Auftrag der Stiftung eine dreiteilige Fernsehserie produziert, die im Herbst über die dritten Programme mehrerer Anstalten ausgestrahlt wird.

Der Film von Thomas Palzer bietet bestes Bildungsfernsehen, ausgestrahlt zu später Stunde. Rare Bilddokumente aus russischen Archiven sind zu sehen, die bis zu den Puschkin-Feiern des Jahres 1880 reichen. Lobenswert ist auch die von Swetlana Geier herausgegebene Kassette (sechs Bände, 39,90 Euro), obgleich sie, außer einer von Ulrich Schmid besorgten Anthologie russischer Lyrik, keine neuen Titel enthält, sondern Lizenzausgaben anderer Verlage: Erzählungen von Puschkin, Gogol und Tolstoj, neben Dostojewskijs „Aufzeichnungen aus dem Kellerloch“ und einer nützlichen Sammlung von Programmschriften zur russischen Literatur, die Geier bereits im Puschkin-Jahr 1999 publiziert hatte.
„Wir kommen alle aus Gogols Mantel“, hatte Dostojewskij bekannt, in der prophetischen Überzeugung, dass dieser Mantel zuvor von Puschkin getragen wurde und danach alle künftigen Generationen der russischen Literatur bekleiden sollte. In diesem Sinne präsentieren Fernsehserie und Kassette die Geschichte der russischen Literatur als einen Stafettenlauf von Prophet zu Prophet, bis zur Rückkehr des letzten Propheten – Alexander Solschenizyn – in sein Heimatland, wo ihn keiner mehr hören will. Nur in der Kassette kommt die Gegenwart, von Lyrik abgesehen, ein wenig zu kurz, vielleicht aufgrund fehlender Lizenzvergaben.

Im Medienverbund wurde die S. Fischer Stiftung allerdings von den Tücken des „cross-promotion“ eingeholt. In dem geschmackvoll gestalteten Begleitheft – im Geleitwort lobt Christina Weiss den Versuch, „die Kraft von Büchern mit der Macht des Fernsehens zu koppeln“ – taucht gleich zweimal der Name von Natalja Ginzburg auf: Die Grand Dame der italienischen Literatur, deren Ehemann, der Slawist Leone Ginzburg, im Jahr 1944 in faschistischer Kerkerhaft ermordet wurde, steht da als Vertreterin der russischen Dichtung zwischen Anna Achmatowa und Marina Zwetajewa, und neben Ossip Mandelstam und Isaak Babel wird sie zu einem Opfer des Stalinismus erklärt. Statt des Medienverbundes wäre der Stiftung zu wünschen, sich künftig stärker auf ihr Kerngeschäft, die Realisation schwieriger und hoffnungsloser editorischer Projekte – zum Beispiel die Kritischen Ausgaben der Werke Hugo von Hofmannsthals und Thomas Manns –, zu konzentrieren und die Kooperation – mit der „Stiftung Lesen“ zu suchen. Und mit dem Lesen gleich im eigenen Haus anfangen: Zum Beispiel in den Lizenzausgaben der Werke von Natalia Ginzburg oder in Maja Pflugs dort 1999 erschienener Biographie.

Volker Breidecker am 17. 09. 2003 in der Süddeutschen Zeitung

Camping

Camping, Roman von Thomas Palzer

Camping. Rituale des Diversen. München 2003: belleville
Mit einem Bildwerk von Wolfgang Ellenrieder
246 Seiten, broschiert
16 S. in Farbe
erschienen 2003
ISBN 978-3-933510-85-3
€ 17,00

Welche famosen Abenteuer ich dann, sozusagen auf der anderen Seite der Welt, im Namen von Ren Dhark und Commander McLane, gewiß bewaffnet mit einer Laserpistole, auf fremden, transsolaren Planeten bestehe, wissen allein meine Träume – aber die wahren für gewöhnlich die Diskretion.
Auch die Diskretion ist ein Raum, von dem die Mathematik nichts weiß.

Thomas Palzer

Mit Camping geht Thomas Palzers Bestandsaufnahme der Gegenwart in die dritte Runde. Die kleine Form als Antwort auf die Tatsache, daß das Ganze das Falsche ist. Nach Hosenträger – Nachrichten aus der Welt von Gestern (Juli 1991-August 1994) und Ab hier FKK erlaubt – 50 Schnelle Seitenblicke auf die neunziger Jahre (August 1994 – Oktober 1995) ist Camping der dritte Band, der zwischen Solidarität und Dissens changiert, der alltagskulturelle Phänomene ebenso aufgreift, wie er den Temperamentwechsel feiert, den Zufall und den politischen Einspruch. SHELL und das literarische Quartett, Politik, Kannibalismus und eMail, Kunst am Bau und das Wissen als Macht, die Farbe des Stroms und das Quiz, Gentechnologie und Überwachung, Bücher und Alkohol, Architektur, die Zukunft des Getränkemarkts, die ermüdete Moderne und BBQ – um all das geht es, und um einiges mehr. Camping – Rituale des Diversen ist ein eigensinniges Stück Literatur, ein Journal, das den Zeitraum zwischen November 1995 und Oktober 2001 begleitet – kulturdiagnostisch und kulturkritisch – von dem Anspruch getragen, sich weder von der Macht der anderen dumm machen zu lassen noch von der eigenen Ohnmacht (und darin wiederum Adornos »Minima Moralia« treu und untreu zugleich). Camping ist das Dokument eines Straßenintellektuellen, eine Textsammlung jenseits von Sittenpolizei, der Arroganz der Theorie und der von dieser erzwungenen Zustimmung. Disparate Prosastücke, die sich zu mobiler Schönheit fügen, launisch und leidenschaftlich, prosaisch und provisorisch, poetisch und pointillistisch.

Karl Bruckmaier beschreibt den Autor Thomas Palzer als Alleinunterhalter, wobei er damit jemanden verstanden wissen will, der sich mit sich selbst unterhält. Er zeigt sich in seiner kurzen Besprechung des Bandes mit Essays und Prosatexten ziemlich angetan von den dem Paradoxon verpflichteten Texten, wobei er es besonders zu schätzen weiß, daß der Autor ohne erhobenen Zeigefinder schreibt und es Palzer zudem überhaupt nicht stört, Thesen zu vertreten, von denen er ein paar Seiten später schon wieder das Gegenteil behauptet. Den Text über den Anschlag vom 11. September preist der Rezensent überwältigt als das Tiefste, das über dieses Thema geschrieben worden ist und deshalb verzeiht er Palzer auch den mitunter überhand nehmenden Sophismus seiner Prosatexte.

Süddeutsche Zeitung (revisited von Perlentaucher.de)

Palzer im BR Kulturmagazin Capriccio und in der Kulturzeit auf 3sat

 „Capriccio“ (Bayern) besitzt mit Thomas Palzer einen der besten, besonders auch popkulturell versierten Journalisten, dessen Essays durch Einfallsreichtum, Eigenwilligkeit und Brillanz zu begeistern wissen. Bisweilen können Palzers Beiträge auch in „Kulturzeit“ (werktags zur besten Sendezeit um 19:20 Uhr auf 3sat) gesehen werden. Von allen Magazinen liefert dieses zweifelsohne die vielfältigste und eine politisch „unangepasste“ Berichterstattung.

Doc Holliday in kunstfehler online 6/7 2003

Martin Heidegger

Martin Heidegger.
Dokumentation, Deutschland © 2002 SWR / Kick-Film

Buch + Regie: Thomas Palzer. Kamera: Werner Schmidke. Ton: Olaf Krohn, David Heinemann. Schnitt: Isabelle Allgeier. Redaktion: Martina Zöllner. Produktion: Kick Film GmbH. Produzent: Jörg Bundschuh. Länge: 60 min. Vertrieb: Kick Film GmbH

Auszug (Server: Universität Graz)

https://youtu.be/Z1bCXeXgFK4

Meine liebe Hannah! / Willst Du diesen Sonntag Abend (19.
VII.) zu mir kommen? Ich lebe in der Freude dieser Stunden. Komm gegen 9 Uhr! Wenn freilich die Lampe in meinem Zimmer brennt, dann bin ich durch eine Besprechung abgehalten. In diesem – unwahrscheinlichen – Fall komme am Mittwoch um dieselbe Zeit. Dienstag habe ich leider Graeca. Wenn Du kommst, bring den
Zauberberg II mit, falls Du ihn zur Verfügung hast. In den Tagen, als ich nicht arbeiten konnte, habe ich Band I in einem Zuge gelesen. Freilich müßte man das Buch ‚studieren’. Ich bin sehr beladen mit Examens- und Sitzungs- und Gutachtenkram und mehr Beamter als Mensch. Umso mehr freue ich mich auf ein Ausruhen mit Dir. Dein M.

Brief Martin Heideggers an Hannah Arendt am 17. Juli 1925

Von weit her kommt sein Denken, von Heraklit und Platon, aus Griechenland – er selbst kommt aus dem Schwarzwald. Heidegger – das ist der Name für eine lange und verwickelte Geschichte. Eine Geschichte, in der sich auch das Unglück der Deutschen wiederfindet.
Als junger Philosoph in Marburg liebt er eine jüdische Studentin. Später woird sie so berühmt wie er. Ihr Name: Hannah Arendt.

Martin Heidegger – der Name steht für Radikalismus und Provinzialität. Heideggers Verwicklungen in der Zeitgeschichte machten ihn zu einem der umstrittensten Denker des vergangenen Jahrhunderts. Eine Geschichte, in der sich auch das Unglück der Deutschen wiederfindet. Als junger Philosophieprofessor aus dem Schwarzwald verliebt er sich in eine jüdische Studentin, Hannah Arendt, die “Passion seines Lebens”. Das Dritte Reich begrüßt er, er möchte den Führer – Adolf Hitler – führen. Trotz allem ist Martin Heidegger in der heutigen Philosophie präsent wie kaum ein anderer – auf der ganzen Welt. Ein Film über das widersprüchliche Leben des großen Denkers, der so radikal wie kaum ein anderer die Frage nach dem Sinn der menschlichen Existenz gestellt hat.

1966 wurde der Philosoph Martin Heidegger von dem Spiegel-Journalisten Rudolf Augstein interviewt. Darin äußerte sich der öffentlichkeitsscheue Heidegger erstmals zu seinem Verhältnis zum Nationalsozialismus. Der Medienwissenschaftler Lutz Hachmeister beschäftigt sich in seinem Buch mit der Frage, wie es dazu kam.

Rezension: Lutz Hachmeister Heideggers Testament. Der Philosoph, der Spiegel und die SS. Berlin 2014: Propyläen

Camping. Rituale des Diversen. belleville 2001

Camping. Rituale des Diversen. Thomas Palzer. Bild: Wolfgang Ellenrieder

Karl Bruckmaier beschreibt den Autor Thomas Palzer als Alleinunterhalter, wobei er damit jemanden verstanden wissen will, der sich mit sich selbst unterhält. Er zeigt sich in seiner kurzen Besprechung des Bandes mit Essays und Prosatexten ziemlich angetan von den dem Paradoxon verpflichteten Texten, wobei er es besonders zu schätzen weiß, daß der Autor ohne erhobenen Zeigefinder schreibt und es Palzer zudem überhaupt nicht stört, Thesen zu vertreten, von denen er ein paar Seiten später schon wieder das Gegenteil behauptet. Den Text über den Anschlag vom 11. September preist der Rezensent überwältigt als das Tiefste, das über dieses Thema geschrieben worden ist und deshalb verzeiht er Palzer auch den mitunter überhand nehmenden Sophismus seiner Prosatexte.

Süddeutsche Zeitung (revisited von Perlentaucher.de)