SPRENGREITER (Neuauflage) Prolog

Kriegszeitschrift aus dem Französischen von 1984 für das junge 21. Jahrhundert wiederentdeckt.

DER SPRENGREITER (Neuauflage)

 

LUMPENPROLETARIAT

 

 

Bewunderung zeigen die Menschen nur für das Unverdiente – was verdient ist (in jedem nur denkbaren Sinn), wird niemals angebetet, verherrlicht, vergöttert. Was wäre auch ein Vermögen, das seinen Grund in Leistung hat, in Anstrengung oder gar Arbeit? Es wäre verdient, wäre Geld wert, also nichts. Wer aber von Natur aus mit Talenten gesegnet ist – wer schön ist oder geistreich oder begabt -, der hat sich diese nicht verdient, hat sie einfach so, wird also bewundert. So geht die Logik des Vermögens.

Ein Talent kann sich jederzeit und überall der Gunst der Mitmenschen sicher sein. Nicht von ungefähr benannte in der Antike der Begriff Talent Maß und Währung. Denn es ist überhaupt nur das Talent, das etwas zu gewährleisten vermag, das für etwas einstehen kann. Währungen, die nur auf Vereinbarung beruhen, also echtes Geld, sind immer Gefahren ausgesetzt – dem galoppierenden Vertrauensverlust, der Überproduktion (wozu man Inflation und Hyperinflation sagt), der grundlegenden Reform, dem Kollaps, dem scheibchenweisen Diebstahl – und anderes mehr. Geld ist halt nichts wert.

Ein Talent kann weder gestohlen werden, noch kann es inflationär an Wert verlieren. Ein Talent, sofern das in einer Welt wie der unseren überhaupt möglich ist, ist unzerstörbar, nicht delegierbar, nicht elektrifizierbar, unteilbar, nicht verhandelbar. Ein Talent ist alles. Es ist ein Vermögen. Wer keins hat, ist arm dran, und das gerade dann, wenn er über haufenweise Geld verfügt, ja, wenn er im Geld schwimmt.

Das häufigste Motiv früher Münzen war das Opfertier. Wie das Opfertier ist auch das Geld Sündenbock. Geld verrechnet – das eine mit dem anderen (der Sündenbock verrechnet die Sünden mit der im Opfergang einbeschlossenen Reue). Geld ist reine Formsache. Es selber ist nichts – aber es kann alles bedeuten. Ein Talent ist ganz anders: Es bedeutet nicht, denn es ist selbst die Bedeutung.

In God we trust steht bekanntlich auf den Dollarnoten zu lesen – ein Satz, der interessanterweise nicht für Vertrauen in die theologische, sondern für Vertrauen in die fiskalische Fiktion wirbt. Wir vertrauen darauf, dass wir für Banknoten Waren und Dienstleistungen kaufen können. Im Geld und vor allem in dem Vertrauen, welches wir in Geld setzen, verschränken sich Sinn und Sein. Die Dinge werden von ihrer puren Positivität erlöst und bekommen einen – Wert. Aber jedem Wert folgt als logischer Schatten die Entwertung, der Unwert, die Abwertung. Und irgendwann wird alles von seinem Schatten eingeholt und annulliert.

Unsere Ökonomie funktioniert genau falsch herum. Arbeit, Anstrengung, Mühsal, Hetze, Arbeit sind nichts wert. Sie sind nur der Dienst am Verdienst. Wir haben uns daran gewöhnt, zu der totalen Wertlosigkeit Geld zu sagen. Bewunderung, Verherrlichung, Anbetung – das verdient nur das Talent. Weil es unverdient ist, eben ein Vermögen, ein Schatz.

 

August 2016 © Thomas Palzer